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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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verstand nun jede der Sprachen, die in den zahllosen Welten gesprochen wurden? Alle Stimmen, alle Zungen, hallte es durch ihren Verstand, und ihr wurde ganz schwindelig davon.
    Erst Amenophis riss sie wieder aus ihrem Staunen. „Unsterblichkeit ist besser als das, was ihr mir gegeben habt", sagte er zu Seth. „Ein paar Jahrzehnte, nicht mehr. Vielleicht wäre ein Jahrhundert daraus geworden. Aber du warst meiner bereits überdrüssig, nicht wahr? Wie lange hättest du mich noch geduldet? Du wolltest meine Stelle einnehmen ... Armer Seth, du warst ganz krank vor Neid und Ehrgeiz. Und wer kann dir das verübeln?
    Du warst derjenige, der die Rätsel der Subozeanischen Reiche gelöst hat. Du hast dem Imperium alle Macht verliehen. Und jetzt, sieh dich an! Nur ein Mann ohne Haare und mit einem Schwert in der Hand, das er vor ein paar Tagen nicht einmal angesehen, geschweige denn getragen hätte."
    Der Horuspriester stand mit dem Rücken zu Junipa, aber sie sah, wie er sich spannte. Der Tod drang ihm aus allen Poren.
    „Al es Täuschung", sagte Amenophis, „alles Maskerade. Wie das Gold auf unserer Haut." Er fuhr mit dem Finger durch die verwischte Goldfarbe auf seinem Gesicht und zerrieb sie zwischen Daumen und Zeigefinger.
    „Das Imperium ist keine Täuschung. Es ist wirklich."
    „Ist es das? Wer sagt mir denn, dass es nicht eine von deinen Illusionen ist? Darin bist du ein Meister, Seth. Illusionen. Masken. Taschenspielereien. Andere mögen es für Zauberei halten, aber ich kenne die Wahrheit. Als Gelehrter hast du die Relikte der Subozeanischen Reiche erforscht. Aber aus dem Gelehrten ist ein Gaukler geworden. Du weißt, wie man die Sinne der Menschen beeinflusst, wie man ihnen etwas vorspielt. Riesenfalken und Ungeheuer, Seth, das sind Spielzeuge von Kindern, aber nicht die Waffen, mit denen man ein Imperium lenkt. Zumindest damit hatten die Sphinxe Recht." Der Pharao machte eine tänzelnde Drehung und sank zurück auf den Diwan, zurück in die Schatten. Seine kraftlose Stimme schwebte in der Finsternis wie ein Vogel mit lahmem Flügelschlag. „Ist das alles hier Il usion?
    Sag es mir, Seth! Habt ihr mich wirklich zum Leben erweckt, oder liege ich noch immer in meiner Grabkammer in der Pyramide von Amun-Ka-Re? Bin ich wirklich zum Bezwinger der Welt geworden, oder ist das nur ein Traum, den du mir vorgegaukelt hast? Und ist es wahr, dass mich alle meine Getreuen verlassen haben und ich jetzt ganz allein bin in einem Palast voller Mumien - obwohl ich doch vielleicht selbst eine bin und mein Grab nie verlassen habe? Sag mir die Wahrheit, Priester! Was ist Illusion, und was ist Wirklichkeit?"
    Seth hatte sich noch immer nicht gerührt. Junipa ging langsam an der Wand entlang. Sie hatte die vage Hoffnung, es bis zur Tür zu schaffen, bevor einer der beiden auf sie aufmerksam wurde.
    „Glaubst du das wirklich?", fragte Seth. Junipa blieb stehen. Aber die Worte galten nicht ihr, sondern Amenophis. „Denkst du tatsächlich, dass die Geschehnisse der letzten vierzig Jahre nichts als Il usion sind?"
    „Ich weiß, zu was du fähig bist", sagte der Pharao mit einem Schulterzucken. „Nicht zu echter Magie wie die Sphinxe, aber mit Täuschungen kennst du dich aus. Vielleicht bin ich in Wahrheit noch auf einem Sandsteinblock in meiner Pyramide aufgebahrt, und du stehst neben mir, deine Hand auf meiner Stirn -
    oder was sonst eben nötig ist, mir all diese Bilder in den Kopf zu pflanzen. Mit jedem Jahr, das verstrichen ist, und mit jeder Minute der letzten Tage ist meine Gewissheit größer geworden: Nichts von alldem hier ist wahr, Seth! Ich träume! Mein Geist ist gefangen in einer einzigen, großen Illusion! Ich habe das Spiel mitgespielt, habe die Figuren über das Brett bewegt und meinen Spaß gehabt. Warum auch nicht? In Wahrheit gab es nie etwas zu verlieren."
    Junipa erreichte die Tür, drückte langsam die riesige Messingklinke hinunter. Und, ja, der hohe Eichenflügel gab nach! Vom Gang wehte ein kühler Luftzug herein und fuhr ihr durchs Haar. Aber noch lief sie nicht davon. Die letzte Begegnung zwischen dem Pharao und seinem Schöpfer hielt sie mit makabrer Faszination fest im Griff. Sie musste wissen, was weiter geschah. Musste es sehen.
    Seth setzte sich langsam in Bewegung und ging auf den Diwan zu.
    „Sogar mein Tod ist nur eine Il usion", sagte Amenophis. Aus dem Munde eines Zwölfjährigen klang der Satz so unwirklich, als bete er hochkomplizierte mathematische Formeln herunter. Junipa rief sich

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