Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort
schüttelte den Kopf. „Diese Narren! Sie können nicht gewinnen, so oder so. Sie werden sich selbst zugrunde richten, früher oder später, auch wenn wir Sommer nicht befreien."
„Aber was wollen sie?", fragte Serafin. „Warum tun sie das al es?"
Lalapeja gab ihm die Antwort. „Sie benutzen Sommer, um die Barken, Fabriken und Maschinen mit ihrer Energie zu betreiben. So haben sie dem Pharao zur Macht verholfen und sich die Welt unterworfen. Dabei war diese Welt in Wahrheit nur eine Fingerübung für sie, nur ein Spielzeug. Worauf es ihnen eigentlich ankommt, ist etwas anderes."
„Al die Spiegel", flüsterte Merle.
„Ihr Plan ist, mit dem Eisernen Auge die Barriere zwischen den Welten niederzureißen. Sie werden mit ihrer Festung von einer Welt zur anderen ziehen und einen Eroberungsfeldzug ohnegleichen führen."
Vermithrax brummte. „Aber dazu ist Magie nötig. Mehr Magie als die eines gewöhnlichen Sphinx."
„Der Sohn der Mutter", sagte Merle, in deren Geist die kommenden Ereignisse abliefen wie das Licht- und Schattenspiel einer Laterna magica. „Er ist der Schlüssel zu dem Ganzen, nicht wahr? Wenn er erwacht, wird das Steinerne Licht die Herrschaft ergreifen. Und mit ihm das Eiserne Auge durch die Spiegelwelt bewegen, um die Tore zu den anderen Welten zu zerschmettern." Sie stellte sich vor, wie die riesige Festung im Labyrinth der Spiegelwelt auftauchte und tausende und abertausende von Spiegeltoren zerstörte. Das Chaos in den Welten würde unbeschreiblich sein. Und die Sphinxe würden wie ein Volk von Freibeutern unter der Führung des Lichtes durch die Welten reisen und Tod und Verderben säen, genau wie sie es in der ihren getan hatten. Wie hier würden sie sich auch anderswo nicht selbst die Finger schmutzig machen, sondern Emporkömmlingen wie den Horuspriestern und Amenophis zur Macht verhelfen. Andere erledigten für sie die Arbeit, während sie in ihrer Festung saßen und abwarteten. Ein Volk von Gelehrten und Poeten, hatte Lalapeja gesagt. Und tatsächlich: Die Sphinxe waren Künstler, Wissenschaftler und Philosophen, aber der Preis für ihr Leben zwischen Dichtung und Disput war ein hoher. Und er sollte auf Kosten ganzer Welten beglichen werden.
„Merle", sagte Vermithrax entschlossen, „geh zu deiner Mutter."
Sie zögerte noch immer, auch wenn sie spürte, dass seine Entscheidung feststand. „Du musst mir versprechen zurückzukommen."
Vermithrax schnurrte wie ein Kätzchen. „Aber sicher doch."
„Versprich es!"
„Ich versprech's dir."
Das war ein schwacher Trost, vielleicht nichts als leere Worte. Trotzdem fühlte sie sich ein wenig besser.
„Mach dir nur etwas vor", sagte die Königin gallig. „Darin wart ihr Menschen schon immer die Größten."
Merle fragte sich, weshalb die Königin so unausstehlich war. Vielleicht, weil Vermithrax' Plan besser war als ihr eigener: Sommer befreien, dadurch die letzten Sphinxe ihrer Macht berauben und so die Auferstehung des Sohns der Mutter verhindern.
Und der Plan der Königin? Warum verriet sie ihn nicht? Wo war der Haken? Denn dass es einen Plan gab, daran zweifelte Merle längst nicht mehr.
„Ich habe Angst um ihn." Der Tonfall der Königin hatte sich unvermittelt verändert. Kein Sarkasmus mehr, keine bittere Ironie. Stattdessen ehrliche Besorgnis. „Ich will mit ihm sprechen - wenn du gestattest."
„Ja", sagte Merle, „natürlich." Die Königin spielte mit ihren Gefühlen wie auf einem Klavier, wusste genau, welche Taste sie wann zu drücken hatte. Merle durchschaute sie und kam doch nicht dagegen an.
„Vermithrax", sagte die Königin mit Merles Stimme, „ich bin es."
Serafin und Lalapeja starrten Merle an, und sie musste sich in Erinnerung bringen, dass die beiden zwar ihre Geschichte kannten, sie aber die Königin das erste Mal aus Merles Mund sprechen hörten.
Auch Vermithrax hatte die Ohren aufgestellt.
„Ich muss dir etwas erzählen."
Vermithrax warf einen unsicheren Blick auf Winter, der sich erhoben hatte und breitbeinig auf dem Steg stand, ohne zu schwanken, ohne auch nur zu blinzeln. „Jetzt, Königin? Hat das nicht Zeit?"
„Nein. Hör mir zu." Das tat er, und alle anderen ebenso. Selbst Winter legte den Kopf schräg, als konzentriere er sich ganz auf die Worte, die über Merles Lippen kamen und doch nicht ihre eigenen waren. „Ich bin Sekhmet, die Mutter der Sphinxe", fuhr die Königin fort, „das weißt du."
Zumindest für Lalapeja und Serafin war es eine Überraschung. Lalapeja wollte etwas
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