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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Glut.
    Sie hat ihre Hitze nicht unter Kontrolle, hatte Winter gesagt. Und tatsächlich leckte das Feuer überall aus ihrem Körper, ihr Leib selbst schien zu flackern und zu verschwimmen wie eine Wachsfigur in der Hitze des Augusts.
    Vermithrax beobachtete sie noch einen Augenblick länger, dann streckte er seine linke Vorderpfote aus und berührte sie mit aller erdenklichen Sanftheit am Oberschenkel.
    Sein Herzschlag beruhigte sich.
    Er wusste um ihre Hitze und spürte sie doch nicht.
    Das Licht, dachte er wieder. Das Steinerne Licht schützt mich. Ich sollte ihm und diesem verfluchten Burbridge dankbar sein.
    Er zog die Pfote zurück, verharrte noch für zwei, drei Atemzüge, dann setzte er zu einer engen Schleife um Sommers schwebenden Körper an, vorbei an der lodernden Fontäne ihrer Feuerlocken und darunter hindurch. Ihr Haar strahlte wie die Explosion eines Feuerwerkskörpers, für immer festgefroren in der Zeit. Einmal, zweimal, immer wieder umkreiste er sie, bis er sicher war, dass er die unsichtbaren Bande der Fesselmagie durchschnitten hatte. Dann schwebte er behutsam neben sie und versuchte, sie von ihrem unsichtbaren Bett aus Hitze zu heben.
    Federleicht lag sie zwischen seinen Vorderpranken und löste sich mit einem kurzen Ruck aus ihrer Schwebe, als hätte er einen Nagel von einem Magneten gezogen. Im selben Moment wurde die Helligkeit um sie herum gedämpfter, die Schlieren der Luft verblassten, die Umgebung wurde schärfer.
    Die Hitze ließ spürbar nach, er konnte es förmlich sehen. Niemand, kein Sphinx hätte je für möglich gehalten, dass es ein Wesen gäbe, das hierher zu ihr herabstoßen konnte. Das Steinerne Licht, die Macht hinter der Macht der Sphinxe, hatte sich selbst um den Sieg gebracht.
    Langsam stieg Vermithrax nach oben und hielt Sommers dünnen Körper fest umklammert. Sie wirkte unterernährt, ein wenig wie Merles Freundin Junipa. Doch bei Sommer war es kein Zeichen von zu wenig Essen oder gar Krankheit. Wer vermochte schon zu sagen, wie eine Jahreszeit auszusehen hatte, ihre Haut, ihre Züge? Wenn Winter das Maß für ein gesundes Exemplar seiner Art war, dann fehlte es wohl auch Sommers Körper an nichts.
    Ihr Geist jedoch war eine andere Sache.
    Obwohl Vermithrax die Fesseln der Sphinxmagie durchtrennt hatte, machte Sommer noch immer keine Anstalten zu erwachen. Sie hing wie eine Puppe in seiner Umklammerung und regte sich nicht. Er fragte sich, ob wenigstens ihre Lider flatterten, wie es oft bei Menschen der Fall ist, die allmählich aus der Bewusstlosigkeit erwachen. Doch Sommer war kein Mensch. Während des steilen Flugs fiel es ihm ohnehin schwer, sie weit genug anzuheben, um ihr Gesicht betrachten zu können.
    Sie flogen in einer Aura aus Wärme. Der Schnee um sie zerschmolz und ließ schließlich ganz nach, je näher sie dem Schwindel erregend schmalen Steg kamen, auf dem Winter und die anderen sie erwarteten. Die Macht der beiden Jahreszeiten hob sich gegenseitig auf, jetzt da Sommer nicht länger all ihre Kraft nach außen schleuderte. Vermithrax nahm an, dass dies ein Zeichen ihrer Genesung war: Ihr Körper verwandte wieder Energie auf sich selbst, richtete seine Macht nach innen, bemühte sich zu heilen.
    Sie hatten die dünne Brücke über dem Spiegelabgrund fast erreicht, als Sommer sich in Vermithrax'
    Klauen bewegte. Sie stöhnte leise, allmählich kam wieder Leben in sie.
    Er flog jetzt noch schneller, drehte eine triumphale Pirouette um den Steg und ließ Sommer in Winters ausgestreckte Arme gleiten. Während die beiden einander umarmten - er stürmisch, sie kaum bei Bewusstsein, noch immer ein Schatten ihrer selbst senkte sich der Obsidianlöwe herab und kam sanft vor Lalapeja auf.
    Die Sphinx ließ Merle los, und Vermithrax genoss es, als das Mädchen ihm mit einem glücklichen Ausruf um den Hals fiel, ihr Gesicht in seiner glühenden Mähne vergrub und vor Erleichterung weinte.
    Der Junge auf dem Rücken der Sphinx grinste breit. Vermithrax zwinkerte ihm zu und kam sich dabei ungemein menschlich vor.
    Sommer wurde mit jeder Sekunde in Winters Umarmung wacher. Als sie die Augen aufschlug, hatten sie die Farbe von sonnendurchglühtem Wüstensand angenommen. Die Flammen in ihrem Haar erloschen. Ihre schmalen Hände verkrallten sich in Winters Rücken, und sie stieß ein leises Schluchzen aus. „Es ist wieder geschehen", wisperte sie. Sie weinte jetzt ganz offen, ohne jede Scham. Winters Nähe gab ihr Halt.
    Vermithrax blickte zu Merle, die sich von ihm gelöst

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