Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis
Balken klammert.
»Ich habe Angst!«, flüsterte sie. »Lass mich nicht untergehen, halte mich fest! Die Gefahr kehrt zurück, ich spüre es. Sie ist schon ganz nah, sie ist hier. Feinde hatte ich immer. Sie neideten mir meine Schönheit, mein Glück, meinen Aufstieg. Viele wollten mich vernichten. Besonders einer, der mich schon lange verfolgt …«
»Wenn du Baddo meinst«, sagte Chlodwig, »der kann dir nichts tun. Den hat Alarich im Gewahrsam. Kaum anzunehmen, dass der ihn lange am Leben lässt.«
»Hättest du recht! Doch zu meinem Unglück …«
»Es wird auch Zeit, dass er endlich zur Hölle fährt!«, fuhr er zornig fort, ohne ihren Einwurf zu beachten. »Anfangs wollte er mir ans Leder, dann schob er es auf. Und dann bekam er sogar seine Rache, ich selber verhalf ihm dazu. War ja sicher, dass er gründlich sein würde. Aber dann nahm er sich mehr, als ich ihm zugestand. Darauf hatte er eine Antwort verdient. Ich verurteilte ihn zum Tode, wollte es aber nicht selber tun. Er war immerhin mal mein Freund und Blutsbruder. So stellte ich ihn auf gefährliche Posten. Aber er hat ein zähes Leben. Vielleicht schützen ihn auch Dämonen. Ich jagte ihn mit der Vorhut gegen die Alamannen – er kam davon. Ich schickte ihn über die Loire, mitten hinein ins Land der Feinde, nach Tours und Bordeaux – er überlebte unverwundet. Im Herbst ließ ich ihn in Vienne zurück. Gehasste Besatzer trifft es schnell! Es kam anders. Aber nun hat es ihn sicher erwischt. So oder so.«
»Er soll aus Vienne entkommen sein!«, rief Scylla, mit einer Geste der Verzweiflung.
»Wie? Entkommen?«, fragte er überrascht.
»Behauptet Chundo.«
»Mir hat der Kerl davon nichts gesagt.«
»Mir hat er gedroht. Ich glaube, dass die beiden Komplizen sind, die etwas vorhaben … gegen dich und mich!«
Der König schwieg und wartete auf eine Erklärung. Scylla zögerte damit nicht. Sie erzählte, was sie von Chundo gehört hatte. Wenn es die Wahrheit war, hatte Baddo in Vienne die ihm anvertraute fränkische Hilfstruppe verlassen und war – äußerlich verändert – untergetaucht, um seinen persönlichen Rachefeldzug zu Ende zu führen. Wahrscheinlich hatte er in der Stadt an der Rhône, wo die Griechin eine Weile gelebt hatte, Hinweise auf ihren Verbleib erhalten, vielleicht – absichtslos – sogar von Avitus selbst. Die Spur musste ihn irgendwann zurück in die Francia führen. Und hier stand Chundo schon bereit, um ihm auf dem letzten Stück die Lampe zu halten.
»Er wird ihn hierherbringen – hierher in dieses Gemach, und hier werde ich sterben!«, rief Scylla.
»Möglich, dass es so kommen würde«, murmelte Chlodwig. »Ich kenne ihn, er ist unversöhnlich. Auch wenn es sein Verderben wäre – er würde die Genugtuung vorziehen.«
»Was wirst du tun?«, schrie sie.
Chlodwig starrte sie eine Weile stumm an.
»Sei unbesorgt, ich kriege ihn«, sagte er schließlich. »Wahrscheinlich hat er mich verraten, ist desertiert. Umso schlimmer für ihn! Im Grunde war er immer mein Feind. Ich hätte nicht zögern dürfen, ich hätte ihn töten müssen. Verfluchte Rührseligkeit! Blutsbrüderschaft! Vielleicht reichen ihm dreißig Merowinger noch nicht. Vielleicht reicht ihm auch nicht, was in Cambrai geschah. Man muss mit ihm ein Ende machen!«
Noch in der Nacht beriet der König lange mit Ursio. Zuerst erwogen sie, den Diakon Chundo gleich festzunehmen und alles, was er wusste, aus ihm herauszupressen.
Andererseits durfte man nichts übereilen. Ursio war längst bekannt, dass Chundo, obwohl selber von Geburt Franke, in den Jahren des Vormarschs zur Loire zu den schlimmsten Widersachern der Franken gehört hatte. Dafür hatte er eigentlich den Tod verdient, und Ursio bedauerte, ihn nicht schon damals vor der Waldburg, nach dem Überfall auf das Gut des Potitius, »gar geröstet« zu haben. Jetzt würde er aber vielleicht als Lebender nützlicher sein. Falls er tatsächlich Baddos Vertrauter war, konnte man dem hochrangigen Verräter durch ihn auf die Spur kommen.
Ursio gab jetzt auch zu, dass er schon seit geraumer Zeit über die Vergangenheit der Griechin Bescheid wusste. Er hatte sogar den Argwohn gehabt, sie könnte als Mutter des Sohnes von Alarich eine Spionin der Goten sein. Da sie aber als Vertraute der Königin galt, hatte er sie nur diskret beobachten lassen. Er war auch selber argwöhnisch nach Pinetum gekommen, doch war ihm Verdächtiges nicht aufgefallen. Und da sich viele fränkische Große – schließlich sogar
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