Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis
Hoffnung blieb mir …«
»Und welche?«
»Dass man mich auch zu dir führen würde. In dem Fall wollte ich meine Angst überwinden, mich dir zu Füßen werfen und alles gestehen. Denn ich war sicher, du würdest mir glauben, und das Unheil, das ich voraussah, könnte vermieden werden. Aber man wusste zu verhindern, dass wir einander damals begegneten. Schon am nächsten Tag ließen sie mich hierherbringen und verboten mir, das Gut zu verlassen. Und sie nahmen mir das feierliche Versprechen ab, über das, was mich in die Francia geführt hatte, mit niemandem zu reden. So war ich hier so gut wie lebendig begraben. Und wenn ich mir und den Frauen manchmal ein bisschen Vergnügen gönnte, geschah das nur, um meine Verzweiflung zu betäuben. Oh Geliebter! Dass wir uns doch noch begegnet sind! Aber wenn uns nicht nach drei Jahren ein Zufall zu Hilfe gekommen wäre …«
Sie warf sich an seine Brust und begann zu schluchzen.
»Warum erzählst du mir das alles erst heute?«, fragte Chlodwig.
»Was hätte es denn für einen Sinn gehabt«, rief sie unter Tränen, »dir zu sagen, du hättest zu Unrecht Krieg geführt! Dich gegen Menschen einzunehmen, zu denen du Vertrauen hattest! Ich glaubte ja auch, du hättest gesiegt, und Gundobad hätte auch sonst viel Unrecht auf sich geladen und läge am Boden. Und ich dachte, dass sie vielleicht doch im Recht waren, weil sie im Namen ihres dreifaltigen Gottes unbedingt diesen Krieg gegen die Arianer wollten und dazu einen Anlass brauchten!«
»Ein Komplott!«, murmelte Chlodwig. »Jetzt sehe ich klar. Chlotilde und ihre Heiligen. Ein Komplott, und ich falle darauf herein. Verbünde mich mit dem Schwächling Godegisel. Verliere diesen verdammten Krieg! Das kommt davon, wenn man auf Götter baut, die sich von Menschen ans Kreuz schlagen lassen!«
Chlodwig grollte noch eine Weile, und die Griechin beobachtete ihn und war mit sich zufrieden. Er machte ihr keinen Vorwurf, er glaubte ihr. Sie war ein Opfer, sie war missbraucht worden. Nie würde er die ganze Wahrheit erfahren – und wer kannte die schon genau? Auch sie selber nicht. Die Greuelgeschichten vom Tod ihrer Eltern hatte ihr ja die Nonne Chrona, die vielleicht gar nicht geisteskrank war, tatsächlich erzählt. Und sie war dann zu Avitus gegangen, der König Gundobad anfangs für unschuldig, später aber – nach einer Beratung mit König Godegisel – für schuldig erklärt hatte. Man wollte die Franken in den Krieg gegen Gundobad ziehen, und sie selber wollte das auch, weil sie erwartete, dass Chlodwig siegen und dann gleich den nächsten Schlag gegen den treulosen Alarich führen würde. So hatte sie gern den gefährlichen Auftrag übernommen – ja, sie hatte gehofft, dass sie ihn erhalten würde. Aber sie hatte den vorgezeichneten Gang der Ereignisse nur ein wenig beschleunigt, nichts weiter. Wer wollte ihr vorwerfen, dass sie schuldig sei, dass sie eigentlich alles ausgelöst hatte! Sie war ein Opfer – und Chlodwig glaubte ihr.
So hatte sie ihre Rolle gefunden und brauchte nicht mehr zu erschrecken, als der König, nachdem er gepoltert und noch lange grimmig geschwiegen hatte, plötzlich den Kopf hob und fragte: »Wieso hatte dieser Avitus Macht über dich? Was konnte er dir tun? Gibt es da noch etwas, das ich nicht weiß?«
»Es gibt noch manches, was du nicht weißt«, sagte sie mit einem schmerzlichen Lächeln. »Denn wie hättest du mich lieben können, wenn ich dir gleich alles gestanden hätte?«
»Gleich alles gestanden? Was hast du getan?«
»Ich brachte mal einen Sohn zur Welt.«
»Einen Sohn? Das ist kein Verbrechen. Was ist mit ihm? Ist er gestorben?«
»Er lebt. Man hat mich von ihm getrennt. Sein Vater hat ihn mir weggenommen.«
»Wer ist das? Dieser Heilige etwa? Avitus?«
»Nein. Es ist der König der Westgoten, Alarich.«
Einen Augenblick lang verschlug es Chlodwig die Sprache.
Dann sagte er langsam, mit spöttischem Grinsen: »Sieh einmal an! Was da zum Vorschein kommt … die Fromme! Mit dem König der Westgoten hat sie es gehabt. Der Mehlsack aus Seide hat ihr ein Kind gemacht. Dann kommt sie wohl auch nicht aus Genf, sondern aus Toulouse …«
»Ja, denn man hatte mich dorthin verschleppt.«
»Verschleppt?«
»Als Gefangene. Ich gehörte zum Hof des Syagrius. Nachdem man ihn dir an der Loire ausgeliefert hatte, brachte man uns alle nach Toulouse. Der König sah mich und begehrte mich. Was sollte ich tun? Ich wurde seine Geliebte. Ich wurde die Mutter seines Kindes. Seines
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