Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis
bei mir nicht gut an.«
»Ich erzähle dir jetzt, was damals wirklich geschah in dem burgundischen Kloster. Die Nonne Chrona, die Schwester deiner Gemahlin, machte sich an mich heran und beklagte sich über ihr Schicksal. Sie war voller Wut auf ihre Onkel, die Könige, auf ihre Mutter, auf Avitus, auf alle Welt. Während man ihre jüngere Schwester an einen König verheiratet hatte – an dich, hatte man sie hinter Klostermauern geschleppt und vergessen. Ich merkte gleich, dass über dem Unrecht, das sie so heftig empfand, ihr Geist gelitten hatte, denn manchmal geriet sie vollkommen außer sich, schrie und tobte und musste gewaltsam beruhigt werden. Dann aber sprach sie wieder vernünftig, so dass man ihr Glauben schenken konnte. Eines Tages schlich sie in meine Zelle und sagte, sie werde mir ein Geheimnis ihrer Familie enthüllen. Man trachte ihr nach dem Leben, die Nonnen würden sie vergiften, weil sie etwas wisse, was sie nicht wissen dürfe. Und dann erzählte sie mir die Geschichte vom Tod ihres Vaters durch das Schwert seines Bruders, des Königs Gundobad. Wenn man sie umgebracht habe, sagte sie, solle ich zu ihrer Schwester, der Königin Chlotilde, gehen und ihr alles erzählen, damit der Vater gerächt würde. Ich hatte Angst, zu viel zu wissen, und als Avitus wieder einmal das Kloster besuchte, erzählte ich ihm, was Chrona mir anvertraut hatte. Da lachte er nur und sagte, das habe sie sich in ihren verrückten Kopf gesetzt, um dem König, ihrem verhassten Onkel, eine böse Tat anzuhängen. Nichts sei daran wahr. Er selber, Avitus, habe am Sterbebett des Vaters der Schwestern, des Königs Chilperich, gesessen, der an einem Fieber gestorben sei.«
»Verflucht!«, sagte Chlodwig. »Dann ist also Gundobad ganz legitim zum Königreich von Vienne gekommen. Es fiel ihm als dem Ältesten nach der burgundischen Erbordnung zu! Und warum hat dieser Avitus dich hergeschickt? Warum habt ihr Chlotilde aufgehetzt? Was ist mit der Mutter? Auch sie wurde nicht von ihm ermordet?«
»Frau Caratene starb friedlich in ihrem Bett. Sie war schon sehr hinfällig.«
»Da soll doch Donar mit seinem Hammer dreinfahren! Und trotzdem habt ihr behauptet …«
»Warte doch, lass mich alles berichten! Ich bin unschuldig, denn ich wurde genötigt. Die Nonne Chrona kam eines Tages wieder zu mir und erzählte mir, dass nun auch ihre Mutter tot und dass auch dies das Werk ihres Onkels sei, des Königs Gundobad. Das habe sie von einem Mönch erfahren. Und dann erzählte sie mir die Geschichte von den Schergen des Königs, die Frau Caratene in den Brunnen geworfen hatten. Diesmal forderte Chrona mich auf, gleich zu ihrer Schwester, der Königin, zu gehen und alles zu enthüllen. Ich wandte mich abermals an Avitus, und wieder lachte er und erzählte mir, wie die alte Frau wirklich gestorben war. Ich war erleichtert, hielt die Angelegenheit für erledigt und fand meine Ruhe wieder. Nur das ständige Drängen der geistesgestörten Nonne war lästig, die dauernd fragte, wann ich nun endlich nach Soissons reisen werde. Da – nur wenige Tage später – erschien der Bischof Avitus erneut im Kloster, ganz überraschend. Er ließ mich rufen und sagte mir, er habe sich mit dem König Godegisel beraten. Nach reiflichem Nachdenken sei man zu der Erkenntnis gelangt, die Nonne Chrona habe mir die Wahrheit gesagt. Der König Gundobad sei der Verbrechen schuldig! Das habe außerdem eine geheime Untersuchung ergeben. Auch Chronas Forderung, gleich ihre Schwester Chlotilde zu unterrichten, sei vernünftig. Ich widersprach heftig und flehte ihn an, diese Lügen einer Verrückten nicht ernst zu nehmen und die Königin Chlotilde nicht gegen ihren Onkel Gundobad aufzuhetzen. Ich machte Avitus darauf aufmerksam, was für schreckliche Folgen das haben würde … Krieg, Unglück, Vernichtung. Er wollte aber nichts hören und sagte nur, alles geschehe im Namen des Herrn. Und er befahl mir, sofort hierherzureisen!«
»Und warum hast du dich nicht geweigert?«
»Das konnte ich nicht. Denn er hatte Macht über mich.«
»Du konntest Chlotilde die Wahrheit sagen!«
»Unmöglich! Remigius war ja immer dabei. Er hatte schon eine geheime Botschaft von Avitus empfangen, bevor ich hier eintraf, denn er wusste über alles Bescheid. Ich hatte auch Angst vor deiner Gemahlin. Mir schien, sie hörte, was ich berichtete, nicht ungern. Das alles hatte für mich den Anschein eines Komplotts, gegen das ich, eine arme, heimatlose Fremde, vollkommen machtlos war. Eine einzige
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