DIE MEROWINGER: Familiengruft
andere, eilten rasch von einem zum Nächsten, beugten sich zu ihnen hinab, als seien sie ihnen dienstbar. Die Ruhenden schienen nur Männer zu sein, unter den Geschäftigen waren auch Frauen.
Beim genaueren Hinsehen musste allerdings dem Betrachter trotz der Hitze das Blut gefrieren. Die Liegenden waren fast alle tot, es waren einige hundert, besiegt und gefallen in einem mörderischen Kampf unter Stammesbrüdern. Die anderen, die Siegreichen und ihre Weiber, beeilten sich, sie ihrer Kleider, Schuhe und Waffen zu berauben. Bis zur neunten Stunde müssten sie damit fertig sein. Dann sollten die Angehörigen, die hinter den Burgmauern saßen, das Recht haben, ihre Toten zu bergen.
Chlodwig hatte die Tunika abgelegt und arbeitete barbrüstig. Ein breiter Gürtel, in dem wie immer die Franziska steckte, hielt seine Leinenhose. Er führte die Sichel geschickt, wie er es schon als Kind gelernt hatte, schnitt die Halme knapp über dem Boden, damit auch viel Stroh gewonnen wurde. Hinter ihm gingen Frauen vom Pächterhof, die die Garben banden. Es schien, als sei der König so von seiner ungewohnten Arbeit in Anspruch genommen, dass er keinen Blick und keinen Gedanken auf die Vorgänge in der Ebene verschwendete.
Am Rande des Feldes, im Schatten des überhängenden Dachs der Pächterhütte, standen die Männer, die umso aufmerksamer beobachteten. Baddo richtete den scharfen Blick seines einzigen Auges unentwegt auf das geschlossene Tor der Burg. Bobo, Ursio und andere Antrustionen, auch sie nur mit dem Nötigsten bekleidet, aber bewaffnet mit Schwertern und Äxten, verfolgten die Vorgänge mit wachsender Unruhe. Sie konnten sich nicht entschließen, der Einladung des Königs nachzukommen und sich die Wartezeit wie er unbekümmert mit Arbeit zu vertreiben. Die Schlacht war geschlagen, aber der Gegner noch nicht besiegt.
Vor drei Tagen waren sie angerückt und hatten sich in der Umgebung gelagert. Die Cambraier waren völlig überrascht, als Ursio bei ihnen erschien und sie in Chlodwigs Namen herausforderte.
Der gefürchtete Krüppel gab sich nicht einmal Mühe, höflich zu sein. Er kannte ja den König Ragnachar und wusste, was er von ihm zu halten hatte. Der dicke, stotternde Merowinger wurde noch immer von seinem gelockten Liebling beherrscht, und landauf, landab erzählte man schlüpfrige Geschichten von beiden. »Ich und mein Farro«, war Ragnachars häufigster Ausspruch, und wenn ihm etwas gefiel oder genügte, pflegte er zu sagen, es reiche für ihn und seinen Farro. Als ihn Ursio aufforderte, sich mit seiner Gefolgschaft zum Kampf zu stellen, fragte er erschrocken, welche Stärke denn Chlodwigs Streitmacht habe. Da antwortete ihm der boshafte Rheinfranke: »Für dich und deinen Farro reicht es!«
Dann war es Richar, der mit Ursio Ort und Zeit der Schlacht vereinbarte.
Der energische, machtbesessene Bruder des Königs, der eigentliche Herrscher von Cambrai, witterte die große Gelegenheit. Ein Sieg über Chlodwig konnte ihn mit einem Mal weit nach oben tragen. Nach dessen Tode und der Beseitigung seines unmündigen Sohnes konnte ihm die gesamte Francia, das ganze in sieben Jahren zusammengeraubte Gebiet zufallen. Niemand würde nach gewonnener Schlacht auf den Gedanken kommen, dem schlaffen, vom Wohlleben und von Ausschweifungen ruinierten Ragnachar die Regierung eines so stattlichen Reiches zu überlassen.
Richar legte seine goldene Rüstung an, sparte seinerseits nicht mit Beleidigungen und Drohungen und machte denselben Fehler wie Syagrius in Soissons: In seiner Ungeduld überschätzte er seine Kräfte.
Das Treffen, das in aller Frühe begonnen hatte, war entschieden, ehe die Sonne im Zenit stand. Die Streitmacht der Cambraier war vernichtet, mit kaum hundert Männern konnte sich Richar gerade noch hinter die Burgmauern retten.
Der kampfuntüchtige Ragnachar hatte sich gar nicht erst herausgewagt. Von der Höhe der Mauer sah er zu, wobei er seinem Farro die Hand drückte und mit ihm Küsse tauschte, wenn unten einer der feindlichen Stammesbrüder ins Gras sank.
Derweil machte der Dritte der Cambraier Merowinger, Rignomer, das einzig Vernünftige. Er verschaffte sich den Schlüssel zur Schatzkammer, versah sich mit ausreichend Reisegeld und entkam durch eine geheime Pforte.
Immerhin konnten die Geschlagenen noch ihre Tore verriegeln. Trotz ihres Sieges mussten die Angreifer vor der Burg haltmachen und sich sogar noch kübelweise heißes Wasser und Unrat auf die Köpfe kippen lassen.
Baddo wollte sofort
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