DIE MEROWINGER: Familiengruft
schwere Katapulte und einen Sturmbock in Stellung bringen. Doch Chlodwig entschied, das sei nicht mehr nötig. Der Kampf sei beendet, in Kürze, wahrscheinlich schon in wenigen Stunden würden die drinnen sich ergeben. Wozu sollte er also unnötig Türme, Mauern und Tore beschädigen, die ihm ja schon gehörten.
Baddo teilte diese Zuversicht nicht, wusste er doch aus Erfahrung, dass eine Stadt, deren Streitmacht geschlagen war, einer Belagerung manchmal noch Monate standhalten konnte. Bobo und Ursio schlossen sich dagegen entschieden der Überzeugung des Königs an. Es wurde nichts weiter unternommen, und widerwillig musste der Einäugige seine Mannschaften von der Mauer zurückziehen.
Die eigenen Toten wurden geborgen, die des geschlagenen Gegners liegen gelassen und ausgeplündert.
Im Tross der Sieger befanden sich, wie gewöhnlich, ganze Familien, die Chlodwig gleich ansiedeln wollte, um in seinem neuen Machtbereich eine zuverlässige Gefolgschaft zu haben. Wie hungrige Hündinnen stürzten sich die Frauen auf die Toten, warfen sie hin und her, zerrten an ihnen, zogen sie aus, nahmen ihnen alles. Die nur verwundeten Feinde mussten diesmal geschont und versorgt werden – es waren Franken. Mit den Genesenen wollte der König sein Heer auffüllen. Und die Gefallenen sollten auch nicht auf dem Schlachtfeld modern. Deshalb war also den Cambraiern zugerufen worden, dass die Angehörigen, aber nur weibliche, in der neunten Stunde herauskommen und ihre Toten bergen dürften.
Als der Schattenstab einer in den Sand vor der Pächterhütte gezeichneten Sonnenuhr diese Zeit anzeigte, erschienen denn auch viele Frauen und Mädchen mit Karren und Tragbetten, luden hastig die nackten Leichname auf und verschwanden mit ihnen in der Burg.
Dann wurde das dazu geöffnete Tor abermals geschlossen. Sonst rührte sich nichts. Eine weitere Stunde verging. Baddo begann zu fluchen und erklärte denen, die in seiner Nähe ausharrten, er hätte die Burg und die Stadt längst eingenommen, wenn ihm der König nur freie Hand gelassen hätte. Die Mehrzahl der Antrustionen lagerte sich am Hang, ließ Zelte aufstellen und sich versorgen, richtete sich schon für die Nacht ein.
Chlodwig schien das alles nicht zu kümmern. Eine Weile hatte er sich am Feldrain ausgeruht, doch jetzt schwang er noch einmal die Sichel. Er hatte am Morgen nicht mitgekämpft, weil es nicht notwendig war, die Überlegenheit war zu eindeutig. So wurde gewitzelt, dass er wohl unbefriedigt sei und als Ersatz für nicht erschlagene Feinde ein Heer von Gerstenhalmen köpfe. Nachdem er in letzter Zeit so oft über Müdigkeit und Schmerzen geklagt hatte, wirkte er erstaunlich kraftgeladen und ausdauernd. Es schien, als wollte er noch an diesem späten Nachmittag das ganze Feld allein abernten.
Vier Fünftel waren geschafft, als plötzlich Unruhe aufkam. Rufe wurden laut. Die Männer sprangen auf und starrten zum Waldrand hin. Sie machten sich gegenseitig auf etwas aufmerksam, was dort vorging.
Eine Gruppe Bewaffneter war aus dem Unterholz hervorgetreten. Die Männer bildeten ein Knäuel um zwei Unbewaffnete, die in der Mitte gingen und von ihnen geführt wurden. Das heißt, die beiden wurden mit Fausthieben und Schlägen mit flacher Schwertklinge vorwärtsgestoßen.
Die etwa fünfzehn Bewaffneten marschierten stracks auf den Hügel mit der Hütte des Pächters zu, und als sie in Hörweite waren, hoben sie winkend die Arme und stimmten ein Geschrei an.
Chlodwig richtete sich auf und dehnte den Rücken. Die Sichel lässig hin und her bewegend, erwiderte er den Gruß. Auch Bobo und Ursio grüßten, indem sie beide Arme hochwarfen.
Die Näherkommenden waren Franken aus Cambrai. In ihrer Mitte, gefesselt, geknebelt, stolpernd, wankend, geschlagen, gestoßen, gingen ihr König und sein Bruder. Es waren Ragnachar und Richar.
Am Feldrain warf Chlodwig die Sichel ins Gras. Er zog den Gürtel, in dem die Axt steckte, noch einmal fest und ging den Männern entgegen. Baddo, Bobo und Ursio schlossen sich an. Ringsum erhoben sich die Antrustionen, die sich am Hang im Gras gelagert hatten, folgten dem König und den Anführern. Als sie die Ankömmlinge erreicht hatten, nahmen sie sie in die Mitte und bildeten schweigend einen Kreis.
Die beiden gefangenen Merowinger wurden vor Chlodwig geführt. Sie waren übel zugerichtet. Ein Auge des dicken Ragnachar war zugeschwollen. Sein langes, graues, bis zum Gürtel hängendes Haar war an mehreren Stellen blutig verfilzt. Eine schmutzige,
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