DIE MEROWINGER: Familiengruft
los, der rasch ein paar Schritte zurücktrat.
»Verzeih«, sagte er, um Haltung bemüht. »Ich wollte dich wirklich nicht erzürnen. Es war ja nur eine Mitteilung, von der ich annahm, dass sie dich interessieren könnte.«
»Und dazu bist du extra aus Reims hierhergekommen?«
»Es war ein Fehler, den ich bedaure. Verzeih mir.«
»Schon gut, schon gut.« Chlodwig hatte wieder einmal den Zorn mehr gespielt als wirklich empfunden. Er brach von einem Weidenstrauch einen Zweig ab und begann, während er weiterging, die jungen, zartgrünen Blättchen abzureißen. Er tat es mit heftigen Bewegungen, die verrieten, dass er beunruhigt war.
Der kleine Bischof folgte ihm im sicheren Abstand von mehreren Schritten.
»Nun, erzähle mir doch etwas mehr von dem Mädchen«, sagte der König, nachdem sie eine Weile schweigend dem Lauf des Baches gefolgt waren. »Ihre Vorzüge kenne ich nun. Und was hat sie für Fehler? Keine? Nein, das glaube ich nicht. Sie muss welche haben, wenn einer wie du sie empfiehlt … einer, der so viel von Frauen versteht wie der Esel vom Rechnen. Also, was ist es? Hinkt sie? Stottert sie? Ist sie schwachsinnig?«
»Sie hat einen Fehler«, sagte der Bischof.
»Ach, wirklich? Du gibst es zu?«
»Für mich ist er aber die größte Tugend.«
»Was du nicht sagst. Dann muss es etwas Schlimmes sein.«
»Sie ist Christin. Sie betet den dreifaltigen Gott an.«
»Meinethalben kann sie den Mond anbeten. Wenn sie nur …«
Chlodwig sprach den Satz nicht zu Ende. Er schwieg wieder missgestimmt. Die Weidenrute gegen die kreuzweise mit Bändern umwickelten Beine schlagend, machte er immer größere Schritte. Nach Atem ringend, folgte der Bischof.
Plötzlich blieb Chlodwig stehen, drehte sich um und setzte ihm die Spitze der Rute auf die Brust.
»Ihr Gottesmänner redet viel Unsinn zusammen«, sagte er. »Aber manchmal trefft ihr sogar die Wahrheit. Es darf nicht alles umsonst gewesen sein!«
Remigius erwiderte nichts. Er hielt es für klüger, jetzt zu schweigen. Schwitzend, keuchend, mit der verrutschten Stola und ohne den abgetrennten Ärmel hatte er Mühe, eine würdige Haltung zu bewahren.
Chlodwig wandte sich von ihm ab, strich mit einer raschen Geste eine lange, graue Haarsträhne aus dem Gesicht und ließ unverhofft ein Gepolter los, das aus abgerissenen, kaum zusammenhängenden Sätzen bestand.
»Diese Schurken von Cambrai, meine Vettern … Sie schneiden mir jetzt schon das Fleisch von den Rippen! Ich sehe mir das nicht mehr länger an. Nein, ich tue es nicht, es reicht jetzt … Was soll werden, wenn ich plötzlich verrecke? Wenn die verdammten Ärzte mich umbringen. Was soll dann werden? Die Stute tut ihre Pflicht. Aber bei Sunna passiert nichts mehr, seit acht Jahren … Ragnachar und seine Bande werden Therri ermorden. Aber nein, aber nein! Vorher mache ich mit ihnen ein Ende! Ich hatte lange genug Geduld. Wenn ich nur erst wieder ein starkes Heer habe. Verbündete … ja, Verbündete fehlen! Und warum nicht die feinen Burgunder? Ehe sie sich mit Alarich paaren, diesem Feigling, diesem Mehlsack aus Seide … Wer weiß, was er vorhat. Der vergisst nicht die Schmach mit Syagrius. Aber den mache ich auch noch fertig. Seine Zeit kommt! Den treibe ich über die Berge oder ins Meer …«
Er senkte immer mehr die Stimme und murmelte bald nur noch Flüche und einzelne anklagende und verächtliche Worte.
Die Sonne war inzwischen untergegangen. Die Hofknechte hatten die Wachhunde losgelassen, ihr freudiges Gebell tönte herüber. Hinter den Fenstern der Villa flammten Lichter auf.
Schließlich schwieg der König und schien erst jetzt wieder seinen Begleiter zu bemerken. Er legte dem Bischof die schwere Hand auf die Schulter und fragte: »Na, und wie heißt sie?«
»Du meinst die Burgunderin?«
»Wen sonst?«
»Chlotilde. Sie heißt Chlotilde.«
Kapitel 7
An einem Augustnachmittag desselben Jahres ging Chlodwig mit der falx, der Sichel in der Hand über ein Gerstenfeld und schnitt Ähren. Das Feld befand sich gleich vor der Hütte eines armen Pächters an einem sanft abfallenden Hang. Unten dehnte sich, seitlich von Wald und Gebüsch begrenzt, eine Grünfläche über fast eine halbe Meile bis an das Tor der Burg von Cambrai.
Die Wiese war voller Menschen. Ein flüchtiger Blick von oben ergab ein geradezu fröhliches, buntes Bild. Die meisten lagen im Grase, fast unbekleidet, als hätten sie es sich bequem gemacht und ruhten bei der sengenden Hitze. Zwischen ihnen bewegten sich
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