DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums
auch sonst sehr viel Unheil anrichten. Du hast doch Einfluss auf deinen Sohn. Benutze ihn! Wenn du es schaffst, diesen Übergriffen ein Ende zu setzen, wird sich der Heilige erkenntlich zeigen. Ganz besonders wirst du ihn dir verpflichten, wenn alles, was neulich in der Kirche zu Bavai abhandengekommen ist, den Eigentümern zurückgegeben wird. Wir haben mit Hilfe des dortigen Priesters eine Liste angefertigt. Da wären zum Beispiel …« – Remigius nahm ein Pergament zur Hand, das Chundo schon bereitgehalten hatte – »ein hoher goldener Leuchter, sein silberner Messkelch, ein Altartuch aus feinem Brokat …«
»Davon weiß ich nichts!«, unterbrach ihn Basina schroff. »Behauptest du, dass wir Franken Diebe sind? Wer weiß, wer eure Kirche bestohlen hat! Vielleicht haben es eure eigenen Leute getan, diese Landstreicher. Sie werden alles unter ihren Kutten versteckt und sich davongemacht haben. So viele streunen umher …«
»Sie lügt!«, flüsterte neben dem Bischof der Diakon Chundo und machte wieder die unauffällige Kopfbewegung.
Remigius folgte der Richtung seines Blickes und bemerkte die Truhe in der Ecke. Von einem Kleidungsstück, das hineingestopft war, hing noch ein Zipfel heraus. Und dieser Zipfel war mit einem Kreuz bestickt.
»Wir wollen nicht kleinlich sein«, sagte der Bischof, wobei er Chundo gegen das Schienbein trat. »Ich habe aber hier auf der Liste noch verschiedene andere Gegenstände. Leider ist es schon dunkel …«
»Onofrio!«, schrie Basina. »Licht! Lies nur vor«, sagte sie zu Remigius, »lies deine lange Liste vor. Finden wird sich hier nichts davon!«
Kurz darauf trat ein Diener ein und trug mit sichtlicher Anstrengung einen halb mannshohen Kandelaber herein, von dem strahlende Helle ausging. Glanz verbreiteten nicht nur die zahlreichen Lämpchen, die an zierlichen Ketten hingen, sondern auch der Fuß, der Schaft und die Arme des prachtvollen Leuchters, deren edles Metall das Licht reflektierte.
Der Diakon Chundo fuhr heftig zurück. »Das ist er!«, schrie er. »Das ist er! Der Leuchter, der in Bavai gestohlen wurde!«
Im ersten Augenblick war auch Frau Basina erschrocken. »Dummkopf!«, fuhr sie den Diener an. »So viel Licht brauchten wir gar nicht!« Doch gleich fasste sie sich und gab sich entrüstet. »Was fällt dem denn ein? Was behauptet er da? Der Leuchter …«
Remigius hob abwehrend die Hände.
Doch Chundo war in seinem Drang nach Wahrheit nicht mehr aufzuhalten. »Er ist es! Der Fuß in Form einer Löwenpranke! Kleine Schiffchen als Ölbehälter! Vom Kaufmann Lupus Sotimus der Kirche gestiftet. Damit Messen gelesen wurden, für seine glückliche Heimkehr aus dem Orient. Gib her! Gib ihn her!«, schrie er den Diener an. Er packte den Kandelaber und brachte ihn nach kurzem Gezerre an sich.
Aber die Heftigkeit der Bewegungen und das Gewicht des Gegenstands rissen den dünnen Gottesmann fast von den Füßen. Er schwankte so sehr, dass das brennende Öl aus den Lämpchen herausspritzte. Der Polsterbezug eines Hockers fing Feuer und flammte auf. Auch aus dem Teppich schossen Flämmchen empor.
»Feuer!«, kreischte Basina. »Feuer! Zu Hilfe! Diebe! Brandstifter!«
Im nächsten Augenblick stürzten mehrere Männer herein, Bobolen an der Spitze.
Remigius wollte etwas erklären, wurde jedoch beiseitegestoßen.
Einer der Männer warf den brennenden Hocker aus dem Fenster. Andere versuchten, die Flammen auf dem Fußboden auszutreten. Man schrie nach Wasser.
Endlich schleppten Mägde einen Bottich herbei, der über dem Teppich ausgeleert wurde. Die Flammen erloschen. Stinkender Qualm verbreitete sich.
Bobolen half Frau Basina, die heftig hustete, aus dem Armstuhl und führte sie hinaus. Der Bischof rief ihr nach, es tue ihm leid und es handele sich um einen Irrtum aus Übereifer. Aber da wurde er schon von zwei Knechten gepackt und die Treppe hinuntergezerrt. Chundo folgte ihm, immer noch taumelnd, doch jetzt der Fußtritte und Faustschläge wegen, die von allen Seiten auf ihn einprasselten. Die beiden Geistlichen wurden über den Hof zu dem Turm an der Ecke der Wallanlage geschleppt und landeten im Festungsverlies.
Kapitel 4
König Chlodwig gähnte.
Die langen Beine angezogen, die Arme um die Knie gespannt, hockte er an einem der Feuer, die auf dem Platz vor dem ehemaligen Prätorium brannten. Obwohl es schon auf Mitternacht ging, war die Unterhaltung ringsum noch lebhaft, es wurde getrunken und gesungen. An den Bratspießen hing noch Fleisch, und alle
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