DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums
über eine ständig wachsende Kriegerschar. Man war sich im Wege. Und es gab ja eine einfache Lösung.
Da die Franken nur von Merowingern beherrscht werden wollten, weil nach dem Rat der Götter nur Merowinger das zum Herrschen nötige Heil besaßen, genügte es, die Angelegenheit in der Familie zu regeln. Jeder tote Merowinger bedeutete mehr Macht und mehr Sicherheit für die lebenden.
Chlodwig winkte Dagulf, dem Kommandanten der Waldburg, und sie gingen den Hauptweg entlang auf das östliche Tor zu.
Wie alle Paläste und Burgen, in denen sich nach und nach seit zweihundert Jahren die Franken eingerichtet hatten, war auch die Anlage der Waldburg einst von Römern errichtet worden. Man erkannte noch die Grundform, das castrum, mit seinen streng rechtwinklig angelegten Straßen, Wällen und Gräben. Die römischen Holzbaracken waren natürlich längst verschwunden. Jetzt standen hier strohgedeckte fränkische Bauernhütten, zwischen denen Unterholz wucherte. Aus der sorgsam gepflasterten via principalis, auf der sich Chlodwig und sein Begleiter befanden, war ein von Gras, Moos und Schotter bedeckter holpriger Weg geworden. Nur der hohe Palisadenzaun, dem sie sich näherten, wurde ständig ausgebessert und erneuert. Gleich hinter ihm erhob sich ein schwarzer Wald vor dem hellen, vom Mondlicht überstrahlten Himmel.
Dagulf, ein kleiner, knorriger Graubart mit krummen Beinen, hatte Mühe, den raumgreifenden Schritten seines zwanzig Jahre jüngeren und zwei Köpfe größeren Königs zu folgen.
Er geriet außer Atem und blieb schließlich ganz zurück, ohne dass Chlodwig es gleich bemerkte. Der junge Mann, in Gedanken versunken, nahm auch nicht wahr, dass Dagulf plötzlich vom Wege abkam und mit einem seltsamen Rückwärtssprung im Gebüsch verschwand.
Gleich darauf war ja der leichte Schritt schon wieder vernehmbar. Er kam rasch näher, und als er jetzt fast neben ihm war, sagte Chlodwig: »Ich habe gehört, dass sich da draußen im Wald ein Mann herumtreibt. Er schleicht umher, taucht auf, verschwindet gleich wieder. Die Wachen beobachten ihn, versuchen, ihn einzufangen. Was ist das für ein Kerl? Ich will …«
Da blitzte etwas vor ihm auf. Mit der Raschheit des immer Wachsamen warf er den Kopf zurück und griff zu. Er bekam ein Handgelenk zu fassen und hörte es neben sich keuchen.
Die Augen mit rückwärts gebogenem Hals nach unten drehend, sah er die Faust, aus der eine Klinge ragte und unter sein Kinn zielte. Er presste das Handgelenk mit aller Kraft. Die Klinge, deren Spitze schon seine Haut berührte, senkte sich langsam, sehr langsam.
Und plötzlich vernahm er ein Lachen.
Die Hand erschlaffte und öffnete sich. Er drückte sie nieder. Das Messer fiel zu Boden. Und als er jetzt heftig den Kopf zur Seite wandte, starrte er in ein totes Auge, weiß und leer zwischen dunklem Haargewirr.
Und der Kerl neben ihm lachte noch immer. Und dann sagte er mit einer tiefen, kraftvollen Stimme: »Chlodwig! Sei ruhig. Keine Sorge, nichts wird dir geschehen. Aber so hätte man dich umbringen können.«
»Wer bist du, Mann?«, stieß der König hervor. Er packte den anderen, der kleiner und schmaler war, an der Schulter und schüttelte ihn.
»Baddo bin ich. Dein guter alter Freund Baddo. Der Kamerad deiner Kindheit. Dein Blutsbruder.«
»Du bist Baddo?«
»Sohn des Badegisel. Erinnerst du dich? Es ist ja noch gar nicht so lange her. Ich war mal der Einzige, der dir nahestand.«
»Du wolltest mich umbringen!«
»Nein, Chlodwig, nein! Ich wollte dir zeigen, wie man es tun könnte. Um dich zu warnen!«
»Was treibst du hier? Wie kommst du hierher?«
»Ich wollte zu dir. Ich musste zu dir. Es gibt außer dir niemanden mehr, dem ich vertrauen kann. Aber man hätte mich nicht zu dir gelassen, sondern mich auf der Stelle getötet. So musste ich einen Weg suchen, um mich dir bemerkbar zu machen.«
»Ein verdammt gefährlicher Weg!«
Chlodwig ließ den anderen los und bückte sich, um das Messer aufzuheben. »Aber warum? Warum war das notwendig?«
Der Mann, der sich Baddo nannte, strich eine Strähne des wirren Haars zurück, die sein gesundes Auge bedeckte.
»Es war notwendig, weil ich ein Flüchtling bin. Und ohne dich unrettbar verloren. Mir blieb keine Wahl, ich musste dir auflauern, um dich allein zu sprechen. Es war gar nicht so schwer, und wenn ich sonst nichts mehr erreiche, dann wenigstens dies: Du weißt nun, was deine Wachen wert sind. Alles Weitere liegt bei dir. Ich habe mich dir ausgeliefert. Und ich
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