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DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums

DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums

Titel: DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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ich nachdenke!«, beschwerte sich der Patricius heftig.
    »Lass es bleiben!«, sagte sie. »Was deine Lage betrifft, so ist sie tatsächlich hoffnungslos. Gib lieber auf!«
    Syagrius warf einen letzten wütenden Blick auf das Brett. Dann griff er mit beiden Händen zu und brachte die Steine durcheinander.
    »Möchte wissen, wie du das wieder geschafft hast! Ich hatte gleich anfangs mehrere Treffer, ich hätte gewinnen müssen! Jaja, ich konnte gar nicht verlieren! Gestehe, du hast mich betrogen, so wie du mich immer betrügst!«
    »Warum sollte ich?«, erwiderte Scylla gelassen. »Das war ja nicht nötig. Das ›Soldatenspiel‹ liegt dir nun einmal nicht. Als Stratege bist du zu unvorsichtig, du führst deine Phalanx glatt in die Niederlage. Deine Angriffe sind überhastet, du vernachlässigst deine Flügel, du lässt dich einkreisen. Und auf jede Kriegslist fällst du herein. Eine Armee, die du führst, ist zu bedauern!«
    »Schweig!«
    Im nächsten Augenblick flog das Brett vom Tisch, und die Spielsteine rollten über den Fußboden. Ein Diener, der gerade mit Getränken gekommen war, sammelte rasch alles ein und brachte es in einem Wandschrank unter.
    Syagrius stand schwerfällig auf, raffte das weite, bequeme Gewand mit dem doppelten Purpurstreifen der Nobilität und schritt, die Hände auf dem Rücken, in dem kleinen Empfangssaal auf und ab. Beim Spielen geriet er stets so in Hitze, dass er sich auf diese Weise beruhigen musste.
    Noch immer glühte seine Stirnglatze, schweißfeucht ringelten sich die grauen Löckchen in seinem Nacken. Er war ein fetter, früh gealterter Mann von einundfünfzig Jahren.
    Scylla beobachtete ihren Geliebten, doch jetzt nicht mehr heiter. Es schien, als machte sie in diesem Augenblick, wie wohl schon öfter, eine Rechnung auf, die zwei Posten enthielt. Der zweite war ihr eigenes Alter – dreiundzwanzig Jahre.
    Was die äußere Erscheinung betraf, konnte ein Paar kaum ungleicher sein. Alles an ihr war schmal und schlank: ihr Gesicht, ihre Schultern, ihr Hals, ihre Hände. Anmutig, lebhaft, jugendlich waren ihre Haltung und ihre Gebärden. Sie trug eine schwarze Perücke im ägyptischen Stil, und auch mit dem dicken Lidstrich, der die großen dunklen Augen noch stärker hervorhob, ahmte sie die Damen vom Nil nach. Sie hatte dazu ein gutes Recht, ihre Mutter stammte aus Alexandria.
    Da Syagrius hartnäckig schwieg und keine Fragen mehr stellte, hatten die beiden alten Würdenträger den Eindruck, die Audienz sei beendet.
    »Befiehlst du, Patricius, dass wir fortfahren?«, fragte der Comes anstandshalber.
    Syagrius wollte sie gerade mit einer Handbewegung entlassen, als plötzlich ein Geräusch an sein Ohr drang.
    Er blieb stehen, und seine Miene, die sich schon etwas entspannt hatte, nahm wieder den Ausdruck von Missbehagen und Beunruhigung an. Es war das sich nähernde Geräusch, das ein Krückstock verursachte, der energisch auf den steinernen Fußboden des Vestibüls gestoßen wurde.
    Im nächsten Augenblick erschien denn auch Titia, seine Gemahlin. Sie war etwa sechzig Jahre alt und über und über mit Schmuck behangen, womit sie den Zustand vorgeschrittener Hinfälligkeit, in dem sie sich augenscheinlich befand, zu kaschieren suchte.
    Ihr folgte, neben ihr hertrippelnd und sie stützend, der Bischof Remigius, in voller Amtstracht wie bei allen wichtigen Anlässen.
    »Syagrius!«, donnerte Frau Titia mit einer Stimme, um die sie der griechische Lautsprecher und Troja-Held Stentor beneidet hätte. »Dein Reich wankt, und du vergnügst dich! Soeben berichtet mir der heilige Bischof, dass wieder die ungeheuerlichsten Verbrechen geschehen sind. Das Gut des Senators Potitius wurde ausgeraubt und verheert. Den jungen Potitius hat man entsetzlich gefoltert und beinahe umgebracht. Der Diakon Chundo wurde gleichfalls misshandelt und gemeinsam mit ihm in den Wald gejagt, den wilden Tieren zum Fraß. Den Heiligen selbst hat man eingekerkert und in eine Jauchegrube geworfen. Und wer hat dies alles verbrochen? Der scheußliche, zottelhaarige junge Unhold von Tournai mit seiner Verbrecherbande! Wie lange soll das noch weitergehen? Was müssen wir noch alles ertragen? Den ehrenwerten Senator Potitius traf der Schlag, und er starb auf der Stelle, als er von seinen Verlusten erfuhr. Wer kann auch angesichts solcher Abscheulichkeiten unbeschwert und gelassen weiterleben! Nur du kannst es in deiner Dickfälligkeit und Vergnügungssucht! Ich verlange, dass du dich endlich besinnst! Dass du deine

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