DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums
ihren Mädchenschänder, zurück. Der war dann doch für sie das kleine Übel. Aber was hat das alles mit Baddo zu tun?«
»Zwei seiner Schwestern waren Childerichs Opfer. Er hatte beide geschändet und vermutlich ermordet. Man fand ihre Leichen im Wald.«
»Ah! Das wusste ich allerdings nicht.«
»Badegisel, der Vater der Mädchen, hatte Childerichs Tod gefordert. Immerhin konnte er als Hauptankläger seine Vertreibung erreichen. Aber – du sagtest es gerade – dann gab es einige Mächtige unter den Franken, die ihn zurückhaben wollten. Die setzten sich durch, und abermals wurde Childerich König. Und Badegisel beugte sich, verzichtete auf seine Rache und musste sogar einen Eid leisten, nie wieder von einem Mord an seinen Töchtern zu reden. Er blieb noch zehn Jahre in Tournai, doch dann wurde auf ihn ein Anschlag verübt – auf Anstiften des Königs, wie sich herausstellte. Da ließ er alles im Stich, kam mit seiner Familie hierher und trat in deine Dienste.«
»Ja, ich erinnere mich an den Mann, er muss lange tot sein. Und weiter? Weiter?«
»Sein Sohn Baddo wusste von der Geschichte. Er verachtete seinen Vater, weil der sich unterworfen hatte. Er schwor sich im Stillen, die Blutrache doch noch auszuführen. Mindestens ein Merowinger sollte für seine Schwestern sterben! Als Knabe war er Chlodwigs Spielgefährte, einmal bewarfen sie sich mit Steinen, und Baddo hoffte damals schon, es würde gelingen. Doch es kam anders. Er selbst wurde von einem Stein getroffen, den Chlodwig geschleudert hatte, verlor ein Auge und beinahe das Leben. So wurde die Rache aufgeschoben.«
»Aufgeschoben? Du willst damit sagen, dass Baddo Chlodwig noch immer nach dem Leben trachtet?«, fragte der Patricius, dessen Interesse am Gegenstand des Gesprächs plötzlich erwachte.
»Er wird nicht ruhen, ehe es vollbracht ist!«, erwiderte Scylla. »Er hat es auch mir noch einmal geschworen. Er wollte baldmöglichst nach Tournai gehen, vielleicht als Bauer oder Händler verkleidet, und Chlodwig auflauern. Oder sogar in seine Gefolgschaft eintreten und irgendwann, wenn die Gelegenheit günstig wäre, zuschlagen. Nun wurde er aber für eine andere Unternehmung gebraucht, die dringender war – von uns, im Falle Ogulnius. Als du ihn dann verurteilt hattest und er mit dem Sklaventreck fortging, auf Nimmerwiedersehen, um irgendwo in einem Bergwerk oder einer Arena zu enden, dachte ich: Schade um die Blutrache an den Merowingern, die er nun nicht mehr ausführen kann und die für uns so nützlich wäre! Und so beschloss ich, etwas zu tun.«
»Das ist gut, das ist sehr gut!«, rief der Patricius. »Was bist du doch für eine kluge und außergewöhnliche Frau! Und was hast du unternommen? Wie hast du es fertiggebracht, dass er freikam?«
»Das war nicht schwer. Ich kenne zwei Männer aus der Reiterabteilung, die er befehligte, Georgios und Dimitios. Die hatten uns mehrmals beim Ausritt begleitet. Ich hatte sie dazu selbst ausgewählt, der eine ist Grieche, der andere Dalmatiner, ich kann mich mit ihnen auf Griechisch verständigen. Die beiden konnte ich – natürlich mit Geld – dazu bringen, dem Treck zu folgen und ihn irgendwie herauszuholen. Ich wusste ja, wohin er sich wenden würde, sobald er frei war.«
»Aber er könnte ja auch seine Freiheit anders benutzen«, sagte Syagrius, wieder besorgt, »und sich nicht an den Merowingern, sondern an uns rächen.«
»Er wird sich hüten, noch einmal hierherzukommen, wo er als Sklave gezeichnet wurde. Jeder würde ihn ja erkennen und ausliefern. Vor Chlodwig dagegen wird er sich als verfolgte Unschuld ausgeben, als der Betrogene, der Missbrauchte. Und so wird er sich in sein Vertrauen schleichen. Und ganz bestimmt wird er nicht lange zögern, sobald sich die Gelegenheit bietet! Eines Tages, vielleicht schon morgen, erreicht uns die Nachricht …«
»Gott im Himmel!«, rief Syagrius. »Das wäre wahrhaftig eine Glücksbotschaft! Da wären wir eine Plage los. So würde sich alles von selbst regeln!«
»Ja. Sie hätten dann keinen König mehr. Der einzige Merowinger, den sie in Tournai noch haben, Chlodwigs Sohn, ist zwei Jahre alt. Wie lange sollte das gutgehen? Da würden viele herrschen wollen, und sie würden sich in ihre magischen Haare geraten.«
»Und ich müsste dann nur die Hand ausstrecken und zugreifen, so wie damals mein Vater!«
»Vielleicht ist der Krieg gegen die aus Britannien gar nicht mehr nötig.«
»Wahrhaftig, das hieße ein großes Ziel mit dem geringsten Aufwand
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