DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums
geschlossen, weil sie nicht stark genug waren. Sie waren zwar tapfer, aber nur ein mickriges Häuflein. Was blieb ihnen übrig? Sie mussten nehmen, was sie bekamen, und dafür im Krieg für euch die Drecksarbeit machen. Jetzt hat sich alles geändert. Steig auf die Mauer, blicke hinunter! Da stehen hundert Hundertschaften – und die nehmen sich, was sie brauchen, wenn du es ihnen nicht freiwillig gibst. Ihre Familien haben viele schon mitgebracht. Auch meine Frau und mein Sohn sind da draußen. Ich hab mir gedacht, ich bleibe gleich hier, wenn du ausziehst. Dein Palast gefällt mir zwar nicht, aber das liegt vielleicht an den Leuten, die jetzt hier drinnen sind. Wenn ihr fort seid, gefällt er mir vielleicht doch!«
Nun erhob sich bei den Franken Gelächter. Diese Sprache war nach ihrem Geschmack.
Die Unsicheren und Abwartenden drängten jetzt ebenfalls zu Chlodwig, von seinem verwegenen Vorstoß mitgerissen. In diesem Augenblick war er in ihren Augen zum alleinigen Anführer des Unternehmens geworden.
Frau Titia überschrie das Geheul der Gäste: »Niemand wird uns je von hier vertreiben! Wir werden nicht weichen! Wir bleiben hier!«
»Dagegen haben wir nichts«, sagte Chlodwig. »Wenn ihr bleiben wollt, könnt ihr bleiben. Und als Sklaven auf unseren Gütern arbeiten!«
Die Franken brüllten vor Vergnügen.
Syagrius raffte sich noch einmal auf und verschaffte sich heftig fuchtelnd Gehör.
»Freunde, Römer!«, rief er mit überkippender Stimme. »Ich vermute, dass uns der junge Frankenhäuptling einen unterhaltsamen Beitrag zu unserm Fest liefern will. Denn eine so unerhörte Anmaßung kann man wohl nur als Scherz verstehen! Sollte sie allerdings ernst gemeint sein, weise ich sie mit tiefster Entrüstung zurück. Keinen Fußbreit werde ich weichen und das Römische Reich, das in meiner Person hier in Gallien immer noch lebenskräftig und mächtig ist, bis zum letzten Blutstropfen verteidigen!«
Hysterischer Jubel antwortete dem Patricius. Als er abklang, sagte Chlodwig: »Du willst also kämpfen. Das gefällt uns! In dem Fall geht es nämlich um mehr – nicht nur um dein halbes, sondern dein ganzes Reich! Wie sollte ich denn meinen Leuten erklären, dass sie nach einem Sieg nur die Hälfte bekämen?«
»Nichts werdet ihr bekommen! Nichts! Nichts!«
»Abgemacht. Und du behältst nichts! Nach dem Sieg gehört uns alles – von der Somme bis zur Loire! Du kannst es dir noch einmal überlegen. Verlieren wirst du in jedem Fall. Kampflos – die Hälfte. Sieglos – das Ganze!«
Syagrius geriet völlig außer sich.
Man musste ihn festhalten, um zu verhindern, dass er sich zu etwas hinreißen ließ, was ihm nur selbst schaden konnte.
Es reiche nun, schrie er, er werde sich das nicht länger anhören. Die Franken sollten machen, dass sie fortkämen, aus seinen Augen, heute noch, sonst werde es ihnen schlimm ergehen. Wenn sie bei Sonnenaufgang nicht fort seien, werde er seine Legionen ausrücken und den Platz vor der Festung räumen lassen. Und dabei würden keine Gefangenen gemacht.
Für das Blutbad, fuhr er speichelsprühend fort, seien die drei Banditenhäuptlinge, die sich für Könige hielten, dann selber verantwortlich. Und es würde ein Glück für sie sein, wenn sie gleich darin umkämen. Denn ihre Leute würden sie hinterher streng zur Rechenschaft ziehen und in Zukunft Anführer wählen, die sie nicht zur Rebellion anstiften, und ihm, dem Patricius, geben würden, was sie schuldig seien. Jetzt aber wünsche er, dass sie ihn von ihrem Anblick befreiten. Er feiere ein Fest und wolle dabei nicht länger gestört werden.
»Also bis morgen früh!«, sagte Chlodwig. »Bei Sonnenaufgang auf dem Feld vor der Festung! Wir werden bereit sein und euch erwarten. Wir sind nämlich höfliche Barbaren. Es ist nicht unsere Art, unsere Feinde zu überfallen. Wir laden sie freundlich ein, mit uns zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort die Kräfte zu messen. Und jetzt gehen wir schlafen, damit wir euch morgen früh gebührend empfangen können. Ihr wollt weiterfeiern? Daran tut ihr gut. Genießt euer Fest. Es wird ja für viele von euch das letzte sein!«
Er grüßte breit lächelnd nach allen Seiten, setzte sich an die Spitze der Franken und ging hinaus. Der hundertköpfige Haufen folgte ihm. Die Legionäre links und rechts des Portals wichen zurück und ließen ihn durch.
»Lass sie festnehmen! Lass alle umbringen!«, fauchte Frau Titia.
»Structus!«, rief der Patricius.
»Ausgeschlossen«, sagte
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