DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums
der Legat. »So viele Männer, wie dazu nötig sind, haben wir nicht in Bereitschaft.«
»Aber es sind doch nicht mehr als hundert!«
»Es sind ihre Besten. Stell dir vor, sie gewinnen die Oberhand. Dann ist gleich alles verloren!«
»Warum sind wir auf diesen Fall nicht vorbereitet?«
»Damit konnte nun wirklich niemand rechnen.«
»Morgen früh sind die zwei Legionen bereit!«
»Es war, wenn du erlaubst, etwas leichtfertig, dich gleich auf morgen festzulegen. Das wollten sie ja, darauf gingen sie aus … dass es so schnell wie möglich zur Schlacht kommt. Unsere Truppen benötigen ein paar Tage. Wir werden nicht gleich in voller Stärke antreten können.«
»Nicht in voller Stärke? Das erlaube ich nicht!«
»Ein Aufschub wäre besser. Deshalb mein Vorschlag: die Tore schließen und sie zwingen, uns zu belagern. Wie lange halten wir durch, Leunardus? Wie lange reichen unsere Vorräte?«
»Mindestens einen Monat. Vielleicht sogar zwei.«
»Das dürfte genügen. Bis dahin geben sie auf. Sie sind ja nicht imstande, zu stürmen oder die Mauern zu brechen.«
»Nein! Nein! Nein!«, schrie der Patricius. »Ich bin dagegen! Meine Ehre steht auf dem Spiel! Mich verkriechen, verstecken, belagern lassen? Nein! Wir bieten dem Feind die Brust. Wir werden diese Rudel toller Hunde zusammenhauen und was von ihnen übrig bleibt, davonjagen. Schlagt gleich Alarm und holt die Legionen aus den Unterkünften. Bis Mitternacht Kampfbereitschaft in voller Stärke! Das befehle ich! Das ist mein Wille! Verstanden?«
Structus murmelte etwas und eilte davon.
»Auf diese Stunde habe ich lange gewartet!«, sagte Frau Titia mit bebender Stimme. »Ich war nicht immer stolz auf dich, doch heute hast du dich glänzend gehalten, mein Lieber! Wir werden einen herrlichen Sieg erringen! Die Überlebenden solltest du in den Rhein treiben, damit sie dort elend ersaufen. Das wird für die drüben eine Lehre sein!«
Sie ordnete an, das Fest fortzusetzen. Die Musikanten und Gaukler machten weiter, und leicht geschürzte Sklavinnen gingen umher und boten kühle Getränke an.
Aber nur wenige Unermüdliche blieben in der Halle. Den meisten war die Lust zum Feiern vergangen. Die Verantwortlichen der Regierung, der Hofhaltung und der Verteidigung rannten hinaus, um dringenden Pflichten nachzugehen. Manche Gäste standen noch kurze Zeit in erregten Gesprächen beisammen. Einige gingen an die Mauer und stiegen noch einmal die Leitern hinauf, um vom Wehrgang aus einen Blick auf das nächtliche Lager der Franken zu werfen. Die Betrunkenen schliefen unter den Tischen.
Nach und nach verschwanden sie alle irgendwo in der Stadt, um eine unruhige Nacht zu verbringen.
***
Scylla trat zu Syagrius, um den sich niemand mehr kümmerte. Erschöpft und fahl im Gesicht, war er in seinem Armstuhl zusammengesunken.
»Nun, großer Feldherr? Bereitest du dich auf die Schlacht deines Lebens vor, die dir den Platz in den Annalen der Geschichtsschreiber sichert?«
»Wer konnte das ahnen«, sagte Syagrius dumpf. »Dieser Grünling, zwanzig Jahre alt! Wer hätte das von ihm erwartet. Fordert mich frech zur Schlacht heraus. Und ist im Übrigen quicklebendig.«
»Ja, das ist er. Und wie kraftvoll und heldenmütig!«
»Ich sähe ihn lieber tot!«, fuhr der Patricius sie an. »Wo bleibt dein Rächer, dein Mörder? Warum handelt er nicht?«
»Er wartet wohl noch. Es käme ihm ja nichts mehr zupass, als dass Chlodwig vorher noch uns erledigt. Damit hätte er eine doppelte Rache.«
»Das werde ich zu verhindern wissen!«
»Darauf hoffen wir alle. Aber sei vorsichtig. Führe deine Phalanx mit Umsicht. Achte auf deine Flügel. Lass dich nicht einkreisen. Und falle nicht auf jede Kriegslist herein. Soll ich das Brett und die Spielsteine holen? Wollen wir noch ein bisschen üben?«
»In diesem Augenblick ist wahrhaftig für Scherz und Spott keine Zeit!«
»Dann gute Nacht.«
»Wo willst du jetzt hin?«
»Ich bereite schon mal das Fluchtgepäck vor.«
Kapitel 15
Ungehindert verließen die hundert Franken den Palast und die Festung. Hinter ihnen wurde krachend das Tor geschlossen, verriegelt, mit Balken verrammelt.
»Ist doch nicht nötig«, sagte Chlodwig lachend. »Sie können das Tor doch gleich offen lassen. Morgen ziehen wir ein!«
»Wenn du dich nur nicht täuschst«, bemerkte Chararich gallig. »Wer weiß, wo wir morgen einziehen.«
»Vielleicht in W-W-Walhall!«, sagte Ragnachar.
Das Lager der Franken war in dem spitzen Winkel errichtet, den die beiden nach
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