DIE MEROWINGER: Schwerter der Barbaren
Rechtsprechung.
Bei der Landnahme durch die fränkischen Siedler kam es zu manchem blutigen Zwischenfall. In den Straßen und Schenken von Soissons gab es ständig Reibereien zwischen den Einwohnern und den tausend vorwiegend jungen Franken, die als Kernmannschaft, Palastgarde und Gefolge des Königs in der Festung geblieben waren. Auch zwischen den Franken und den einstigen »Römern« im Heer pflegten Zusammenstöße mit Schwertern, Dolchen und Äxten die trüben Wintertage zu kürzen.
Chlodwig entschied alles selbst, ließ sich aber von Kennern des salischen Stammesrechts beraten. Waren Galloromanen in die Sache verwickelt, zog er auch Senatoren hinzu, die den Fall nach dem römischen Recht beurteilten. Oft hatte er dann sein Vergnügen, wenn seine Berater in heftigen Streit darüber gerieten, welches Recht anzuwenden sei. Manchmal verhinderte nur seine Entscheidung, die er nach Gutdünken traf, ein Handgemenge.
In Rechtsangelegenheiten zwischen Romanen mischte er sich überhaupt nicht ein. Diese Fälle wurden nach wie vor in der Kurie entschieden, dem Versammlungsort des städtischen Senats. Er ging aber manchmal hin, um einem solchen Prozess beizuwohnen. Dann saß er im Hintergrund unter den Zuhörern und folgte geduldig den endlosen Plädoyers der Anklage und der Verteidigung.
Im Stillen bewunderte und beneidete er die Männer, die ihre Kodizes schwenkten und aufschlugen und Gesetze vortrugen, die es seit Hunderten Jahren gab und mit denen die seltsamsten Vergehen geahndet wurden: eine »lex Cornelia de falsis« gegen Fälschungen und Unterschlagung von Dokumenten, eine »lex Julia de vi privata« gegen Gewalttätigkeit in der Familie, eine »lex Julia de ambitu« gegen Amtserschleichung. Und er dachte, wie kümmerlich doch dagegen das Rechtsbewusstsein seines Frankenvolkes entwickelt war, sein eigenes eingeschlossen, und wie erhebend es wäre, eines Tages zu Gericht zu sitzen und fränkisches Recht aus solchen Büchern zu lesen.
Das gemeinsame Nachtlager nach altgermanischem Brauch teilten jetzt nur noch die minder wichtigen Mitglieder der Merowingerfamilie. Chlodwig richtete sich mit Sunna und Therri in dem ehemaligen Schlafgemach des Patricius ein, in dem allerdings die seidenen Laken und Kissen durch Wolldecken und Felle ersetzt wurden.
Vor dem dreiteiligen Wandgemälde, das ihm schon in der ersten Nacht so gefallen hatte, ließ er ein Lampadarium mit vielen Öllämpchen aufstellen, damit er es jederzeit betrachten konnte. Es beeindruckte ihn jetzt umso mehr, nachdem er von einem früheren Kammerherrn des Syagrius erfahren hatte, es stelle den Makedonierkönig Alexander, den Welteroberer, und seine Gattin Roxane dar.
Manchmal erwachte er nachts aus unruhigem Schlaf, weil ihn irgendein lästiger Gedanke plagte. Dann ließ er Feuer bringen und einige Lämpchen anzünden. Und während er zu dem Mann mit dem goldenen Stirnreif aufblickte, dachte er, dass auch der als Zwanzigjähriger aufgebrochen war, um sich ein großes Reich zu erobern, und dass ihn dabei nichts aufhalten konnte. Rasch verflüchtigte sich dann alles Unwichtige.
Eine Zeitlang konnte allerdings kein noch so erhabener Gedanke eine Sorge vertreiben. Therri erkrankte an einem Fieber, und viele Tage und Nächte bangten Chlodwig und Sunna um sein Leben. Weder die Mittel der Ärzte noch die Sprüche zauberkundiger Frauen schienen den Kleinen retten zu können, nicht einmal Opfer für Frigg, Wodans Gattin, die Beschützerin des Lebens der Kinder.
In der Nacht, als alle glaubten, dass es mit Therri zu Ende ginge, bekam Chlodwig plötzlich einen seiner gefürchteten Wutanfälle. Er hielt Sunna vor, sie tauge nichts, weil er nun schon seit sieben Jahren gemeinsam mit ihr lebe und nur diesen einzigen Sohn habe. Wer solle mal erben, schrie er, was er mit so viel Mühe und Fleiß zusammenbringe, wenn dieser eine ihm wegstürbe.
Die arme Frau brach in Tränen aus und wagte einzuwenden, das läge wohl auch an ihm, weil er »dazu« selber nicht genug tue. Da schlug er auf sie ein, und nur der Umstand, dass seine Mutter Basina anwesend war und energisch dazwischentrat, brachte ihn zur Besinnung.
Das Kind genas, und Chlodwig bat Sunna um Verzeihung. Er nahm sich den Vorwurf sogar zu Herzen. Von nun an ging er, wenigstens eine Zeitlang, täglich ans Werk, um einen weiteren Erben zu machen. Er tat es vor allem aus Pflichtgefühl, und auch Sunna empfand nicht viel Lust dabei.
Der Umzug in den Palast von Soissons änderte manches im Leben der
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