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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Ahnung.«
    »Ich hab Spagetti Bolognese gemacht«, sagte Regan.
    »Ich hab keinen Hunger«, erwiderte Janice. »Ich leg mich hin.«
    Sie ging nach oben.
    Regan arbeitete, bis er alle Zahlen endgültig durcheinander gebracht hatte. Er ging die Treppe hinauf und betrat geräuschlos das dunkle Schlafzimmer. Im Mondschein zog er sich aus, ließ die Sachen auf den Teppich fallen und glitt zwischen die Laken.
    Er spürte Janice an seiner Seite. Sie zitterte und das Kissen war nass.
    »Jan?«
    Sie hatte ihm den Rücken zugedreht.
    »Es war schrecklich«, flüsterte sie in ihr Kissen. »Es hat so weh getan. Und sie wollten mir keine richtige Betäubung geben. Sie meinten, ich könnte eine Valiumspritze haben, wenn ich wollte, aber sie hätten keinen Anästhesisten mehr. Die Frau hat gesagt, er konnte den Druck nicht mehr aushalten und außerdem hätte es zweihundert Dollar extra gekostet, die niemand bezahlen wollte …
    Es hat so furchtbar weh getan.« Sie schluchzte jetzt, keuchte bei jedem Wort, als werde es ihr aus dem Mund gezerrt. »So furchtbar.«
    Regan stand auf.
    »Wo gehst du hin?«
    »Das muss ich mir nicht anhören«, sagte Regan. »Das muss ich mir wirklich nicht anhören.«

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    Im Haus war es zu heiß. Nur mit der Unterhose bekleidet ging er die Treppe hinunter und in die Küche. Seine nackten Füße verursachten schmatzende Geräusche auf dem Vinyl.
    Eine der Mausefallen war geschlossen.
    Er hob sie hoch. Sie war ein ganz klein wenig schwerer als zuvor. Vorsichtig öffnete er die Tür einen winzigen Spalt breit. Zwei Knopfaugen starrten zu ihm auf. Er erahnte hellbraunes Fell. Als er die Tür wieder schloss, hörte er drinnen ein Kratzen.
    Was jetzt?
    Er konnte sie nicht töten. Er konnte keine Kreatur töten.
    Die grüne Mausefalle verströmte einen scharfen Geruch und ihr Boden klebte von Mäuseurin. Behutsam trug Regan sie hinaus in den Garten.
    Eine leichte Brise hatte sich erhoben. Der Mond war beinah voll. Er kniete sich hin und stellte die Falle vorsichtig ins trockene Gras.
    Er öffnete die Tür zu dem kleinen grünen Korridor.
    »Lauf weg«, flüsterte er und der Klang seiner eigenen Stimme im Freien war ihm peinlich. »Lauf weg, kleines Mäuschen.«
    Die Maus rührte sich nicht. Er konnte ihre Nase an der Öffnung der Falle sehen.
    »Komm schon«, drängte Regan. Im hellen Mondschein konnte er alles sehen, alles war erleuchtet und warf Schatten, nur Farben gab es in diesem Licht nicht.
    Er tippte die Falle mit dem Fuß an.
    Da ergriff die Maus die Flucht. Sie rannte aus der Falle, hielt an, machte kehrt und hoppelte in den Wald.
    Dann machte sie wieder Halt. Sie sah in Regans Richtung. Er war sicher, die Maus starrte ihn an. Sie hatte winzige, rosa Händchen. Regan empfand eine fast väterliche Sympathie für sie. Er lächelte wehmütig.
    Ein Streifen Grau in der Nacht und die Maus hing und strampelte vergeblich im Maul einer großen grauen Katze. Grüne Augen blitzten in der Dunkelheit. Dann lief die Katze ins Unterholz.
    Er erwog für einen Moment, sie zu verfolgen und die Maus aus ihren Klauen zu befreien …
    Dann ertönte ein schrilles Kreischen aus dem Wald; nur ein Nachtgeräusch, doch einen Augenblick dachte Regan, es klinge beinah menschlich, wie eine Frau, die Schmerzen litt.
    Er warf die kleine Plastikfalle so weit weg, wie er konnte. Er hoffte, sie werde mit einem befriedigenden Krachen zerschellen, doch sie fiel lautlos ins Gebüsch.
    Dann ging Regan zurück ins Haus und schloss die Tür hinter sich fest.

Im tiefen Wasser

    Jetzt ist die rechte Zeit, dies aufzuschreiben,
    jetzt da die Brecher auf den Kiesstrand donnern.
    Der kalte, kalte Regen plätschert und prasselt
    auf dem Blechdach, dass es die Ohren betäubt,
    und über all dem das leise Heulen des Winds. Glaubt mir,
    ich könnte jetzt dort hinabkriechen zu den schwarzen Wellen,
    doch das wäre töricht unter der finsteren Wolke.
    » Oh, Christus, unser Herr, erhöre
    all die in Not sind auf dem Meere. «
    Das alte Lied kommt mir ungebeten in den Sinn,
    vielleicht singe ich es gar, ich weiß es nicht.
    Ich bin nicht alt, doch wenn ich aufwache, bin ich gelähmt vor Schmerz,
    ein altes Schiffswrack. Seht meine Hände.
    Zerbrochen von den Wellen, von der See verkrüppelt.
    Sie sehen aus wie Treibgut auf dem Strand nach einem Sturm.
    Ich halt die Feder wie ein alter Mann.
    Mein Vater nannte eine See wie diese »Witwenmacher«.
    Mutter sagte, das Meer sei immer ein Witwenmacher,
    selbst wenn es grau und glatt wie der Himmel sei.

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