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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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sah auf. Die Türme der Stadt der Engel ragten über uns auf. ›Vielleicht alle.‹
    ›Sie alle?‹
    ›Wenn es nötig ist. Das ist mein Zweck. Ich kann nicht rasten, ehe ich weiß, was passiert ist, ehe ich die Rache des Namens geübt habe an dem, der hierfür verantwortlich ist. Aber es gibt eine Tatsache, an der ich keinen Zweifel habe.‹
    ›Und zwar?‹ Wassertropfen fielen wie Diamanten von den makellosen Fingern des Engels Luzifer.
    ›Carasel hat sich nicht selbst getötet.‹
    ›Woher weißt du das?‹
    ›Ich bin die Rache‹, erinnerte ich den Befehlshaber der Heerscharen. ›Wäre Carasel von eigener Hand gestorben, wäre ich nicht gerufen worden. Richtig?‹
    Er gab keine Antwort.
    Ich stieg auf ins Licht des ewigen Morgens.
    Haben Sie vielleicht noch eine Zigarette?«
    Ich kramte das rot-weiße Päckchen hervor und gab ihm eine Zigarette.
    »Vielen Dank.
    Zephkiels Zelle war größer als meine.
    Es war kein Ort des Wartens. Es war ein Ort zum Leben, zum Arbeiten, zum Sein . Die Wände waren mit langen Reihen von Büchern, Schriftrollen und Papieren bedeckt und grafische Darstellungen hingen dort. Bilder. Ich hatte nie zuvor ein Bild gesehen.
    In der Raummitte stand ein ausladender Sessel und Zephkiel saß darin, die Augen geschlossen, den Kopf zurückgelehnt.
    Als ich näher trat, schlug er die Lider auf.
    Seine Augen strahlten nicht heller als die aller anderen Engel, denen ich begegnet war, aber irgendwie schienen sie mehr gesehen zu haben. Es war etwas in der Art, wie er schaute. Ich bin nicht sicher, ob ich es erklären kann. Und er hatte keine Flügel.
    ›Willkommen, Raguel‹, sagte er. Er klang erschöpft.
    ›Du bist Zephkiel?‹ Ich weiß nicht, warum ich ihn das fragte. Ich meine, ich wusste, wer die Leute waren. Es ist Bestandteil meines Zwecks, nehme ich an. Erkennen. Ich weiß, wer Sie sind.
    ›Ganz recht. Du gaffst, Raguel. Es ist wahr, ich habe keine Flügel, aber mein Zweck erfordert es nicht, dass ich diese Zelle verlasse. Ich bleibe hier und denke. Phanuel erstattet mir Bericht, bringt mir die neuen Vorschläge und erfragt meine Meinung. Er trägt mir die Probleme vor und ich denke über sie nach und manchmal mache ich mich mit ein paar kleinen Vorschlägen nützlich. Das ist mein Zweck. So wie die Rache der deine ist.‹
    ›Ja.‹
    ›Du bist hier wegen Carasels Tod?‹
    ›Ja.‹
    ›Ich habe ihn nicht getötet.‹
    Als er es sagte, wusste ich, dass es die Wahrheit war.
    ›Weißt du, wer es getan hat?‹
    ›Das ist dein Zweck, oder? Zu enthüllen, wer das arme Wesen umgebracht hat, und die Rache des Namens zu üben.‹
    ›Ja.‹
    Er nickte.
    ›Was möchtest du wissen?‹
    Ich zögerte und überdachte, was ich bislang in Erfahrung gebracht hatte. ›Weißt du, was Luzifer in jenem Teil der Stadt tat, ehe der Leichnam gefunden wurde?‹
    Der alte Engel sah mich unverwandt an. ›Ich denke, ich kann es erraten.‹
    ›Und zwar?‹
    ›Er ist in der Finsternis gewandelt.‹
    Ich nickte. Vor meinem geistigen Auge sah ich jetzt eine Form. Etwas, das ich beinah greifen konnte. Ich stellte meine letzte Frage:
    ›Was kannst du mir über die Liebe sagen?‹
    Und er erklärte es mir. Danach war ich sicher, alle Fakten beisammen zu haben.
    Ich kehrte zu der Stelle zurück, wo Carasels Leichnam gelegen hatte. Alle Spuren waren beseitigt, das Blut war von der Straße gewaschen, die Federn eingesammelt und fortgebracht worden. Nichts auf dem silbernen Gehweg wies darauf hin, dass der Leichnam je dort gelegen hatte. Doch ich wusste es besser.
    Ich schwang mich empor, bis ich beinah die Turmspitze der Halle des Seins erreicht hatte. Dort war ein Fenster, durch welches ich eintrat.
    Saraquael war dort bei der Arbeit. Er legte eine flügellose Puppe in eine kleine Kiste. Auf einer Seite der Kiste war die Abbildung einer kleinen braunen Kreatur mit acht Beinen. An der anderen Seite war die Abbildung einer weißen Blüte.
    ›Saraquael?‹
    ›Hm? O, du bist es. Hallo. Sieh dir das hier mal an. Wenn du sterben solltest und, sagen wir mal, in einer Kiste in die Erde gelegt würdest, was möchtest du lieber auf deine Kiste gelegt bekommen? Eine Spinne – hier, oder eine Lilie – hier?‹
    ›Ich schätze, die Lilie.‹
    ›Ja, das meine ich auch. Aber warum ? Ich wünschte …‹ Er legte die Hand ans Kinn, sah auf die beiden Modelle hinab, legte erst das eine versuchsweise auf den Deckel der Kiste, dann das andere. ›Es gibt so furchtbar viel zu tun, Raguel. So vieles, das gelingen muss.

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