Die Messerknigin
Treppe führt auf unsere Veranda hinauf, vier weiße Holzstufen, die dringend einen neuen Anstrich brauchen. (Ich wusste, dass sie weiß waren, auch wenn sie jetzt, durch mein Fernglas gesehen, grün wie alles andere schimmerten.) Am Fuß der Treppe hielt der Teufel an und rief etwas, das ich nicht verstand, drei, womöglich vier Worte in einer wimmernden, heulenden Sprache, die schon alt und vergessen gewesen sein muss, als Babylon jung war. Und obgleich ich die Worte nicht verstand, spürte ich bei ihrem Klang, wie die Haare in meinem Nacken sich sträubten.
Und dann vernahm ich gedämpft durch das geschlossene Fenster, aber immer noch hörbar, eine tiefes, drohendes Knurren und langsam, mit unsicheren Schritten bewegte eine dunkle Gestalt sich die Stufen hinab, weg von mir, auf den Teufel zu. Inzwischen bewegte der Schwarze Kater sich nicht mehr wie ein Panther, vielmehr torkelte und schlingerte er wie ein Seemann, der gerade erst an Land gekommen ist.
Jetzt war der Teufel eine Frau. Sie sprach sanft, beruhigend auf den Kater ein in einer Sprache, die wie Französisch klang, und streckte die Hand nach ihm aus. Er schlug die Zähne in ihren Unterarm. Ihre Lippen kräuselten sich und sie spuckte ihn an …
Dann sah die Frau zu mir auf und wenn ich vorher noch Zweifel gehabt hätte, dass sie der Teufel war, dann war ich jetzt davon überzeugt: Die Augen der Frau schleuderten mir rote Blitze entgegen, obwohl man kein Rot durch ein Nachtsichtgerät sehen kann, sondern nur Grüntöne. Und der Teufel sah mich durchs Fenster. Er sah mich. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.
Der Teufel wand und drehte sich und jetzt war er eine Art Schakal, eine Kreatur mit platter Schnauze, einem gewaltigen Kopf und Stiernacken, halb Hyäne, halb Dingo. Maden wimmelten in seinem zottigen, verfilzten Pelz und dann kam er die Treppe hinauf.
Der Schwarze Kater sprang ihn an und innerhalb von Sekunden verschmolzen sie zu einem rollenden, gekrümmten Etwas, das sich schneller bewegte, als meine Augen zu folgen vermochten.
All das geschah in vollkommener Stille.
Dann ertönte ein dumpfes Dröhnen unten auf dem Wirtschaftsweg am Ende der Auffahrt. Ein Lastwagen auf nächtlicher Fahrt rumpelte aus der Ferne heran, seine Scheinwerfer gleißend hell wie grüne Sonnen in meinem Fernglas. Ich setzte es ab und sah nichts als Finsternis, das sanfte Gelb der Scheinwerfer, dann das Rot der Rücklichter, ehe er wieder im Nirgendwo verschwand.
Als ich das Nachtsichtfernglas wieder vor die Augen hielt, war nichts mehr zu sehen. Nur der Schwarze Kater stand auf der Treppe und starrte aufwärts. Ich richtete das Fernglas nach oben und sah etwas wegfliegen, einen Geier vielleicht oder einen Adler – und dann erreichte es die Bäume und war fort.
Ich ging auf die Veranda, hob den Schwarzen Kater hoch und streichelte ihn, sprach ruhig und sanft auf ihn ein. Er maunzte jämmerlich, als ich mich ihm näherte, aber schließlich schlief er auf meinem Schoß ein. Ich legte ihn in seinen Korb, ging nach oben ins Bett und schlief ebenfalls. Am nächsten Morgen fand ich getrocknetes Blut auf meinem TShirt und der Jeans.
Das war vor einer Woche.
Die Kreatur, die mein Haus heimsucht, kommt nicht jede Nacht. Aber sie kommt meistens. Wir sehen es an den neuen Wunden, die der Kater jedes Mal davonträgt, und an dem Schmerz in seinen Löwenaugen. Seine linke Vorderpfote ist völlig lahm, das rechte Auge für immer geschlossen.
Ich frage mich, was wir getan haben, um den Schwarzen Kater zu verdienen. Ich frage mich, wer ihn geschickt hat. Und voller Angst und Selbstsucht frage ich mich, wie lange er noch durchhält.
Die Trollbrücke
Ein Großteil der Schienenstränge wurde Anfang der Sechzigerjahre demontiert, als ich drei oder vier war. Die Bahngesellschaft riss gewaltige Löcher ins Schienennetz, sodass man nirgendwo mehr hinfahren konnte als nur nach London, und die kleine Stadt, wo ich wohnte, war nun das Streckenende.
Meine früheste verlässliche Erinnerung: Ich bin achtzehn Monate alt, meine Mutter ist im Krankenhaus, um meine Schwester zur Welt zu bringen, und meine Großmutter geht mit mir zur Brücke, hebt mich hoch, sodass ich den Zug sehen kann, der dort unten entlangfährt, schnaufend und Rauch speiend wie ein schwarzer Eisendrache.
Im Laufe der nächsten Jahren verschwanden die letzten Dampfloks und mit ihnen das dichte Schienennetz, das Dorf mit Dorf und Stadt mit Stadt verband.
Ich merkte nichts davon, dass die Loks verschwanden.
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