Die Messerknigin
das Mr. Dundas gehöre.
»Mister. Mein Großvater ist tot. Letzte Nacht ist er gestorben.«
Der Schock macht aus Klischees Realität: Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Mein Atem stockte.
»Es tut mir Leid. Ich mochte ihn gern.«
»Tja.«
»Das muss ziemlich plötzlich gekommen sein.«
»Er war alt. Er hatte einen schlimmen Husten.« Jemand im Hintergrund fragte, wer denn da am Telefon sei, und er antwortete: niemand. Dann sagte er: »Danke für den Anruf.«
Ich war wie gelähmt.
»Hören Sie, ich habe sein Sammelalbum. Er hat es mir geliehen.«
»Das alte Filmzeug?«
»Ja.«
Ein kurzes Schweigen.
»Behalten Sie’s. Keiner kann mit dem Krempel irgendwas anfangen. Also dann, Mister, ich muss Schluss machen.«
Ein Klicken und die Leitung war tot.
Ich packte das Album in meine Reisetasche und war verblüfft, als eine Träne auf den alten Ledereinband fiel.
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Ich ging ein letztes Mal zum Teich, um mich von Pious Dundas zu verabschieden und von Hollywood.
Drei geisterhafte weiße Zierkarpfen dümpelten mit beinah unmerklich bebenden Flossen in der ewigen Gegenwart ihres Teichs.
Ich erinnerte mich an ihre Namen: Buster, Ghost und Princess, aber jetzt gab es niemanden mehr, der sie unterscheiden konnte.
Der Wagen wartete vor dem Hotel auf mich. Die Fahrt zum Flughafen dauerte dreißig Minuten und schon fing ich an zu vergessen.
Der weiße Weg
»… Ich wünschte, Ihr könntet mich eines Tages besuchen,
in meinem Haus.
So wundersame Dinge könnt ich euch dort zeigen.«
Meine Erwählte senkt den Blick, und ja, sie zittert.
Ihr Vater und seine Freunde lachen und johlen.
»Das ist doch keine Geschichte, Mister Fox«, rügt eine blasse Frau
in der Ecke des Zimmers, ihr Haar weizengelb,
die Augen wolkengrau, der Leib wohlgeformt
und gerundet und sie lächelt ironisch, amüsiert.
»Madam, ich bin kein Erzähler.« Ich verneig mich und frag:
»Vielleicht habt Ihr eine Geschichte für uns?« mit hochgezogener Braue.
Ihr Lächeln bleibt.
Sie nickt, erhebt sich und bewegt die Lippen:
»Ein Mädchen vom Dorfe, ein schlichtes Geschöpf, wurde von ihrem Liebsten betrogen,
einem Gelehrten. Als ihre Regel ausblieb
und ihr Bauch unmissverständlich zu schwellen begann,
ging sie zu ihm und weinte bitterlich. Er tätschelte ihr Haar,
schwor, sie zu heiraten, dass sie fortlaufen würden,
in der Nacht,
zusammen,
zu seiner Muhme. Sie glaubte ihm,
obwohl sie die Blicke gesehen hatte, die er
in der Halle der Tochter seines Herrn schenkte,
die schön und reich war. Dennoch glaubte sie ihm.
Oder glaubte doch, dass sie glaubte.
Etwas Verschlagenes war in seinem Lächeln,
seine Augen so schwarz und scharf, das Haar so rot. Etwas,
das sie früh zu ihrem Stelldichein kommen ließ,
unter der Eiche, gleich neben dem Dornbusch,
etwas, das sie den Baum erklimmen und dort oben warten hieß.
Einen Baum hinaufzuklettern, in ihrem Zustand!
Ihr Liebster kam mit der Dämmerung, schlich sich an im Eulenlicht,
Einen Beutel in der Hand.
Dem entnahm er Hacke, Schaufel und sein Messer.
Er machte sich emsig ans Werk neben dem Dornbusch,
unter der Eiche.
Er pfiff vor sich hin und er sang, als er ihr Grab grub,
jenes alte Lied …
Soll ich’s jetzt für Euch singen, ihr guten Leut?«
Sie macht eine Pause und wir alle klatschen und rufen
– oder fast alle:
Meine Erwählte, ihr Haar so schwarz, die Wangen rosig,
die Lippen so rot,
scheint außer sich.
Die blonde Frau (Wer ist sie? Ein Gast hier im Wirtshaus, vermutlich) singt:
»Ein Fuchs in der Nacht, der hofft auf den Mond,
Dass der ihm scheint, mit Licht ihn belohnt,
Denn weit ist’s noch bis zum Bau, wo er wohnt
Meilen um Meilen, Ho-ho!
Ho-ho, Ho-ho!
Denn weit ist’s noch bis zum Bau, wo er wohnt, Ho-ho!
Ihre Stimme ist süß und rein, doch die meiner Erwählten ist reiner.
»Und als ihr Grab geschaufelt war –
Ein kleines Loch war’s nur, denn sie war ein zierliches Ding –
ging er unter ihr auf und ab,
und probte seine Grabrede, etwa so:
Guten Abend, meine Schöne, meine Liebste.
Wie hinreißend du im Mondlicht aussiehst …
Mutter meines ungeborenen Kindes, lass mich dich halten.
Und dann umarmt er die Nachtluft mit einer Hand
und mit der andern, die das kurze, aber tückische Messer hält,
sticht er wieder und wieder in die Dunkelheit.
Sie bebte in ihrem Laubversteck über ihm. Atmete leise,
aber zitterte dennoch. Und einmal schaute er auf und sagt’:
Eulen, das möcht ich wetten, und ein
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