Die Messermacher (German Edition)
dem neuen Kunden klarmachen sollte, wusste sie auch noch nicht. Aber das konnte sie sich ja auf der Fahrt noch überlegen.
„Alles klar, Tantchen. Ich wünsch dir gute Besserung, eine gute Fahrt und einen erfolgreichen Kundenbesuch!“, rief Nora und umarmte ihre Tante, obwohl sie sie am liebsten geschüttelt hätte, um die Wahrheit aus ihr heraus zu bekommen. Lächelnd winkte sie dem Porsche nach, bis Marianne um die Kurve gebraust war. Dass hier Tempo 30 angesagt war, schien sie nicht zu kümmern. Wahrscheinlich brütete sie schon über ihrer nächsten Lüge, mutmaßte die enttäuschte Nora. Von einem nahen Familienmitglied belogen zu werden, fand die junge Frau besonders schlimm. Nun wollte sie nur noch herausfinden, ob Marianne wirklich etwas zu verbergen hatte und dazu musste Nora ihrer Tante nachspionieren. Doch wie sollte sie das anstellen? Sie ging wieder zurück an ihren Arbeitsplatz und während der nächsten Stunden arbeitete sie an einem Plan. Kurz vor Feierabend hatte sie ihn soweit, dass sie zur Tat schreiten konnte, denn für ihr Vorhaben brauchte sie morgen auf jeden Fall Urlaub. Nora tat so, als würde eine SMS auf ihrem Handy ankommen und gab vor, diese zu lesen, bevor sie jubelnd aufschrie:
„Das gibt’s doch gar nicht! Stellt euch vor, eine meiner ehemaligen Klassenkameradinnen hat gestern ein Baby bekommen! Meine Freundinnen gehen sie morgen besuchen und ich soll mitfahren. Ist allerdings in Ulm … könnte ich nicht einen Tag Urlaub bekommen?“
„Was? Das war doch sicher ein Unfall, oder? Wer ist es denn?“, fragte Jakob, der sich sofort fragte, wie er reagieren würde, wenn Nora plötzlich schwanger wäre.
„Die kennt ihr sowieso nicht. Darf ich mit?“, fragte Nora nur kurz angebunden, denn sie hatte keine Lust und auch keine Energie, noch mehr Lügen zu erfinden. Diese eine war schon schlimm genug. Doch zu ihrem Glück bekam sie die Erlaubnis, allerdings merkte ihr Vater noch an:
„Mich wundert es schon ein bisschen, dass du morgen wegfahren willst, wo wir doch immer noch nicht wissen, ob und wann Reno zurückkommt.“
„Ich kann ja auch nichts dafür, dass das ausgerechnet morgen ist und außerdem war es Opa ja auch egal, wie es uns geht, als er einfach so verschwunden ist. Ihr werdet mir schon Bescheid sagen, wenn er wieder da ist und abends bin ich ja ganz bestimmt zurück“, verkündete Nora voller Überzeugung, obwohl sie keineswegs wusste, ob das stimmte.
Zuhause kramte das aufgeregte Mädchen im Keller herum, um die Schlafsäcke zu finden, die hier doch irgendwo sein mussten! Da die Familie in den letzten Jahren immer weniger davon Gebrauch gemacht hatte, waren die Dinger sicher irgendwo unter all dem anderen Kram versteckt. Nora wusste, dass zumindest zwei schwarze Schlafsäcke hier irgendwo sein mussten und genau diese würde sie für ihr morgiges Vorhaben benötigen. Fieberhaft suchte sie auch noch in der Garage und schaffte es, die zusammengerollten Dinger endlich zu finden, bevor ihre Familie ihr lästige Fragen stellen konnte. Schnell packte Nora die Schlafsäcke in eine große Einkaufstüte und versteckte sie neben ihrem Roller in der Garage. Sie wollte nicht, dass jemand sah, wie sie diese große Tüte auf ihren Roller packte, das würde sie erst morgen früh machen. Sie hatte ihrer Familie erklärt, dass sie schon um fünf Uhr morgens mit ihrem Roller nach Salach zum Bahnhof fahren würde und dort wollte sie sich mit ihren Freundinnen treffen. Dass sie zwar nach Salach, aber nicht zum Bahnhof fahren würde, war ihr Geheimnis. Mit der Ausrede, morgen zeitig raus zu müssen, ging Nora früh zu Bett. An Einschlafen war aber nicht zu denken, dazu war sie viel zu aufgeregt über das, was sie morgen vorhatte.
Nach einer schlaflosen Nacht stand Nora noch vor dem Weckerklingeln auf. Sie verzichtete aufs Duschen, weil sie keinen Lärm machen wollte. Ihre Familie wusste zwar, dass sie heute schon so früh los musste, dennoch wollte sie nicht, dass die anderen sie beobachteten. Denn wie sollte sie die große Tüte und deren Inhalt erklären, die sie sich nachher auf ihren Roller schnallen würde? So leise wie möglich zog sie trotz der sommerlichen Temperaturen eine schwarze, lange Leggins und einen langärmligen schwarzen Rollkragenpullover an. Eine schwarze Sturmhaube, die man bei Kälte unter den Motorradhelm ziehen konnte und eine dunkle Sonnenbrille, sowie schwarze Handschuhe verdeckten nun jeden Zentimeter ihrer Haut. Zufrieden mit
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