Die Messermacher (German Edition)
ihr Leben nun weitergehen und wo war ihre Tante?
„Du Joska?“, begann Nora zögernd kurz vor dem Tor zu ihrem Hof. „Müssen wir meiner Familie erzählen, dass Reno schwul war? Können wir nicht sagen, dass Reno geschäftlich bei Rüdiger war und sein Tod ein Unfall war? Immerhin hat die Obduktion doch ergeben, dass er wegen der vielen blauen Flecken und einem Schlag auf den Kopf wahrscheinlich irgendwo heruntergefallen ist. Vielleicht ist er ja wirklich unglücklich gestürzt und Rüdiger ist in Panik geraten? So könnten wir es doch meiner Familie erzählen, oder nicht?“, fragte Nora hoffnungsvoll.
„Wenn deine Tante es nicht verrät und sie bei unserer Version bleibt … aber das können wir nicht wissen, solange wir nicht mit ihr gesprochen haben. Wir können auch nicht verhindern, dass sie einen ihrer Brüder anruft und es ausplaudert. Doch andererseits – warum sollte dein Großvater ausgerechnet zu Rüdiger fahren und euch nichts davon sagen? Immerhin hat er behauptet, am Chiemsee zu sein.“
„Ja schon, aber das könnten wir doch darauf schieben, dass er wegen Omas Tod einfach total durcheinander war“, meinte Nora und hörte selbst, dass das alles ziemlich abwegig klang.
„Leider wissen wir nicht, wie lange Rüdiger und Reno schon ein Paar waren. Vielleicht kennen sie sich ja auch schon länger als Geschäftspartner und man könnte es so darstellen, dass sie nur sehr gute Freunde waren? Meinst du, wir finden bei den privaten Sachen deines Opas irgendwas?“, fragte Joska und hielt einige hundert Meter vor Noras Hof an.
„Eine Möglichkeit wäre es“, murmelte Nora mehr zu sich selbst und ergänzte dann mit neuer Hoffnung:
„Lass uns umkehren, Joska. Wir müssen zur Werkstatt und herausfinden, wie lange das mit Rüdiger schon gegangen ist. Vielleicht haben wir Glück und finden was und wir können uns dann eine plausible Geschichte für meine Familie ausdenken. Es wäre einfach besser für uns alle, wenn Renos Neigung nicht zur Sprache kommen würde und wir ihn so beerdigen könnten, wie wir ihn gekannt haben – als treusorgenden Familienvater und herausragenden Handwerker. Alles andere wäre eine Katastrophe – glaub mir – in so einem kleinen Ort wären wir für alle Zeiten erledigt. Vor allem mein Vater im Gemeinderat wäre wahrscheinlich nicht mehr tragbar. Wir müssen das verhindern! Los, lass uns umkehren und die Bude auf den Kopf stellen. Wir müssen einfach was finden!“
„In Ordnung, aber ich mache da nur inoffiziell mit – als Freund und nicht als Polizist“, stellte Joska klar und war sich seiner Sache überhaupt nicht sicher. Wenn das alles nur mal gut ging und für ihn kein übles Nachspiel hatte!
Da es schon nach 16 Uhr war, waren Nora und Joska alleine in der Werkstatt und konnten in Ruhe Renos Privatsachen durchsuchen. Moritz war freudig wedelnd ins Haus gestürmt, doch als er überall gesucht, aber weder Herrchen noch Frauchen gefunden hatte, hatte er sich traurig in sein Hundenest gerollt, leise gejammert und mehrmals geseufzt. Nora tat der arme Kerl richtig leid und sie lief immer wieder zu ihm hin, um ihn zu streicheln oder ihm ein paar Leckerli hinzulegen. Angerührt hatte er sie aber nicht.
Erst nach zwei Stunden intensiver Suche fand Nora durch Zufall eine bunte Metallkiste mit Deckel, in der früher wohl Lebkuchen aus Nürnberg gewesen waren. Die Kiste lag unter der Eckbank im Esszimmer und Nora hatte sie nur entdeckt, weil ihr etwas heruntergefallen war und gegen die Kiste gescheppert hatte. Aufgeregt hatte sie den Deckel aufgeklappt und jede Menge Briefe und Bilder darin gefunden. Zusammen mit Joska hatten sie dann auch die Liebesbriefe gefunden, die Rüdiger seinem Freund Reno geschickt hatte. Nora konnte nur die ersten Sätze lesen, dann musste sie die Briefe angewidert zurücklegen. Sie konnte sich immer noch nicht vorstellen, wie so eine Beziehung unter Männern ablief und sie schimpfte im Stillen mit sich selbst, dass sie so intolerant war – aber sie konnte einfach nicht anders. Es bestärkte sie aber in ihrem Wunsch, ihrer Familie nichts von der Liebesbeziehung ihres Opas zu sagen, denn wenn sie als junger und eigentlich recht aufgeschlossener Mensch schon nicht damit klar kam, wie sollten es dann erst seine Söhne verkraften?
„So wie es aussieht, geht das schon seit Jahrzehnten … echt unglaublich, dass wir davon nie was gemerkt haben!“, staunte Nora.
„Hier in einem der ersten Briefe beschreibt
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