Die Messermacher (German Edition)
davon loszukommen. Alleine hätte sie es nie geschafft – es hatte wohl irgendwann passieren müssen, dass sie die Kontrolle verlor und nun musste sie die Konsequenzen tragen. Noch bevor die Beamten eintrafen bat sie darum, ihre Familie anrufen zu dürfen und der Wunsch wurde ihr gewährt. Sie wählte Noras Nummer und wartete erstaunlich ruhig darauf, dass die kleine Schnüfflerin abhob. Eigentlich hätte sie Nora dafür hassen müssen, dass diese sich in ihre Angelegenheiten eingemischt hatte, doch jetzt war sie ihrer Nichte sogar dankbar.
„Marianne!“, rief Nora erschrocken, aber auch erleichtert in ihr Handy, das geklingelt hatte, als sie gerade vor ihrem Haus aussteigen wollten. Sofort stellte sie auf laut und bedeutete Joska, sitzen zu bleiben.
„Wo steckst du denn? Geht’s dir gut?“, fragte Nora aufgeregt und hoffte inständig, dass keiner ihrer Familie auf die Idee kam, hier nach draußen zu kommen, um sie zu begrüßen.
„Mir geht`s gut, aber ich hab was verbockt und werde wohl gleich von der Polizei abgeführt. Aber das erklär ich dir später. Ich wollte nur wissen, was du über Reno und Rüdiger weißt.“
„Alles … das heißt, ich weiß, dass Reno schwul war“, sagte Nora nur, doch ihre Tante rief entsetzt:
„Wieso war? Ist was mit Vater?“
„Er ist tot, Marianne! Er lag im Garten von Rüdiger vergraben und sein Doppelgänger auch! Wusstest du das nicht?“
„Nein! Um Gottes Willen – nein! Wie sollte ich das denn wissen. Ich war doch auf der Suche nach Mike … und nach Vater. Weißt du, wie es passiert ist? War es ein Unfall oder wurden sie umgebracht und wenn ja, von wem?“, fragte Marianne erregt, denn ihre Gedanken rasten schon wieder hin und her. Wenn Mike tot war, gab es nun niemanden mehr, der über ihren Auftrag Bescheid wusste, denn Sven lebte ja auch nicht mehr. Außer Rüdiger! Was wusste der darüber? Hatte Mike ihm etwas erzählt?
„Was ist mit Rüdiger?“, fragte sie deshalb atemlos.
„Der ist immer noch spurlos verschwunden. Aber da die Polizei davon ausgeht, dass er ohne Papiere nicht weit kommen wird, sind sie recht zuversichtlich, dass sie ihn bald schnappen werden. Wo bist du, Marianne?“, fragte Nora eindringlich, denn sie wusste ja immer noch nicht, was ihre Tante angestellt hatte, wofür man sie gleich verhaften wollte.
„Ich bin in Baden-Baden im Spielcasino.“
„Was tust du denn da, um Himmels Willen. Das liegt doch in der entgegengesetzten Richtung von Dresden!“, rief Nora entsetzt, erst dann registrierte sie, dass Marianne das Wort „Spielcasino“ erwähnt hatte. Seit wann trieb sich ihre Tante in Spielcasinos herum?
„Ich weiß, Nora. Ich spiele schon sehr lange und ich muss es jetzt endlich zugeben: Ich bin spielsüchtig und hab eine Menge Schulden und heute, als ich wieder alles verloren habe, bin ich völlig ausgerastet und auf den Spielleiter losgegangen. Ich hab ihm das Nasenbein gebrochen und zwei andere auch noch leicht verletzt. Und jetzt wollen sie mich dafür verhaften. Ich hab doch neulich einen jungen Rechtsanwalt kennengelernt. Den werde ich nachher gleich anrufen. Ihr braucht mich nicht zu besuchen, Nora. Ich will momentan niemanden sehen und ich hoffe, dass ich im Gefängnis von meiner Spielsucht loskomme und nochmal von vorne anfangen kann. Sag das bitte der Familie und … ich liebe euch!“
Damit beendete sie abrupt das Gespräch und Nora schaute ihr Handy an, als könne das kleine Gerät etwas dafür, dass ihre Tante nun nicht mehr zu hören war.
Nora war restlos sprachlos und schaute Joska entgeistert an.
„Das is ja ein Ding!“, murmelte der nur und schweigend sahen sich die beiden in die Augen. Sie mussten das erst mal verdauen und ihre Gedanken sortieren. Mariannes Verstrickungen in die Geschichte um Rüdiger, Reno und Mike gerieten dadurch zunächst in den Hintergrund. Was sollte Nora ihrer Familie nun erzählen? Reno tot, Marianne im Gefängnis und Rüdiger auf der Flucht! Nora schüttelte resigniert den Kopf.
„Was sagen wir jetzt meiner Familie? Ich bin komplett durcheinander und krieg keinen klaren Gedanken mehr zusammen!“, jammerte sie und auch Joska war einigermaßen ratlos. Was nun? Verwirrt strubbelte er sich durch sein dichtes Haar, sodass es nach allen Seiten abstand. Nora lächelte ihn mit so liebevollem Blick an, dass es Joska trotz der herumwirbelnden Gedanken ganz heiß wurde. Ohne darüber nachzudenken, griff er nach Noras Hand und führte sie
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