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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
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Indianer.
    «Ich hätte ihn gerne gesehen.»
    Kurz darauf vernahm man ein Geräusch im Geäst.
    «Das sind Mäuse.»
    «Ich dachte, sie verbringen den Winter unter den Wurzeln.»
    «Es gibt eine Art, die lieber in der Kälte bleibt.»
    Als sie zum Bach kamen, sahen sie eine Steinbrücke. Auf der anderen Seite überquerten sie eine offene Ebene. Die Bäume tauchten vor ihnen auf wie Gespenster.
    «Durch den Schnee sieht alles anders aus», sagte Erna.
    «Es ist anders», sagte Mampucumapuro mit einem Lachen, «weil wir weit weg sind.»
    «Ich bin nie bis hierher gekommen.»
    Mampucumapuro deutete nach Osten.
    «Etwa zehn Meilen in diese Richtung liegt ein Dorf. Aber so weit müssen wir nicht reiten. Wir werden auf einer Lichtung campieren, die ich kenne.»
    Als sie zu der Lichtung kamen, einem von Zypressen umstandenen, schneebedeckten Gelände, hatte Erna ein Gefühl kristallisierter Entfernung. Es war ein Kreis, und die Stille, die in ihm herrschte, müsste eigentlich jede Zersetzung verhindern, sogar die eines dahingesagten Wortes. Etwas auf dem Boden zog ihre Aufmerksamkeit auf sich: ein zermalmter Papagei, der nur noch so dick war wie dünnes Blech, als habe ein ungeheures Gewicht ihn platt gewalzt. Mit seinen reinen, im Schnee leuchtenden Farben war er eines der seltsamsten Dinge, die Erna je in ihrem Leben gesehen hatte.
    Über dem Bach erhob sich ein natürlicher Felsturm, mit einer Spirale ausgetretener Treppenstufen und obenauf einer Terrasse, von der man einen herrlichen Blick hatte über den Strom, der übersät war mit schwimmenden Eisblöcken, und weiter hinten eine Ebene, die sich ins Unendliche erstreckte. Als sie den Schnee wegfegten, kamen die ursprünglichen Steinplatten zum Vorschein und Zeichnungen zwischen den Spuren zahlloser Feuer. Mampucumapuro hatte ein Bündel trockener Zweige geholt, das er anzündete; später, so sagte er, werde er Brennholz suchen gehen. Vorher wolle er baden.
    Gefolgt von Ernas Blicken, die die scharfkantigen Eisblöcke im Wasser fürchtete, stieg er hinab zu einem vorspringenden Felsen und tauchte ins Wasser. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er ein Stück weiter wieder auftauchte, an einen durchsichtigen Eisblock geklammert. Er schwamm kräftig gegen den Strom bis zur Biegung, und dann ließ er sich wieder mitreißen, und diese Übung wiederholte er mehrmals, bevor er wieder aus dem Wasser stieg. Als er kam, war er blau vor Kälte und bespritzte sie. Er setzte sich ganz nah ans Feuer, als wolle er die Flammen umarmen, und das Wasser auf seiner Haut fing an zu verdampfen. Erna wrang ihm die Haare bis auf den letzten Tropfen aus, und dann flocht sie ihm einen Zopf.
    «Die Bemalung ist ganz abgegangen», sagte er zu ihr.
    Tatsächlich, seine Arme waren rein.
    «Später werde ich mir bessere machen. An der Küste habe ich schwarze Braunsichlerweibchen gesehen, die haben das beste Pigment.»
    Schwarze Bemalungen waren eine Schwäche von ihm, so wie andere eine Vorliebe für Rot oder Gold hegen. Es geschah nicht selten, dass er sich von Kopf bis Fuß schwarz färbte.
    Sie klappten das Spielbrett auf und spielten. Der Zufall trat mit besonderer Intensität zutage, wie immer. Bei jedem Wurf blieb so etwas wie ein Rätsel, das beim folgenden entziffert werden musste, und beim folgenden war es ebenso. Es war ein kontinuierliches und ewiges Spiel, das Lieblingsspiel der Indianer. Sie benutzten etwa fünfzig Würfel, die aber so klein waren, dass sie in eine Faust passten; sie hatten eine Zeichnung auf jeder Seite, die sich auf den anderen nicht wiederholte, was eine Gesamtzahl von dreihundert verschiedenen Miniaturen ergab. Anfangs kam es einem allzu kompliziert vor, aber mit ein wenig Übung war es am Ende so leicht, das es den Namen «Spiel der Unachtsamen» verdiente.
    Sie mussten auf Francisco aufpassen, der sich, wie alle Kinder, von Würfeln unwiderstehlich angezogen fühlte. Mampucumapuro besaß einen schönen Satz aus Hartholz mit glasierten Motiven.
    «Eines Tages», sagte er, «bekam meine Tochter sie in die Finger, aber ich habe sie alle wieder zusammengebracht, außer einem, den musste ich nachmachen.»
    Er kramte mit der Fingerspitze herum und holte einen heraus. Darauf war ein Baum, eine Schnecke, ein Fenster, ein Marder, ein Segel und ein verknitterter Spitzhut.
    «Hast du sie gemalt?»
    «Außer dem Segel. Für einen leidenschaftlichen Miniaturmaler ist nichts schwieriger als eine einfache Zeichnung. Bei der geringsten Unachtsamkeit sieht es aus wie etwas anderes.

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