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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
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Erinnerung entlockte ihm einen Seufzer. «Da begriff ich, dass ich einen Finanzapparat aufbauen musste. Bis dahin hatte ich geglaubt, ein solches Gefüge wäre der reine Sophismus oder ein Schwindel, eine der vielen Möglichkeiten, alles zu verkomplizieren und das Schicksal menschlich zu machen. Doch dann begriff ich, dass es eine Notwendigkeit war, die animalische Natur des Menschen.» Er nahm eine philosophische Haltung ein: «Das Leben ist Kunst: die Kunst, das Leben zu erhalten. Alles andere ist Betrug. Doch das Leben ist der höchste Betrug, die einzige Lüge, die sich gegen die Zeit erheben kann. Ich bin der lebende Beweis dafür. Schaut mich doch an. Ich bin ein alter Mann, ich könnte euer aller Großvater sein, aber ich werde beschützt von einer unendlich hohen Mauer aus Skandalen. Wer sonst kann sich mit so vielen Skandalen brüsten?»
    «Was haben die Skandale damit zu tun?», fragte Erna.
    «Der Skandal ist der Überbau des Lasters. Und das Laster ist der Schlüssel des Lebens. Das Leben hat keine Funktion. Das Laster ist eine nackte Funktion, die vom Leben getrennt ist. Das Leben kann nur tote Vorsätze haben. Das Laster kennt keine Grenzen. Das Laster ist gleichbedeutend mit dem Wissen. Das Laster», fügte er mit einem langen, verträumten Seufzer hinzu, «ist unmittelbar, begrenzt, spontan, dauerhaft. Und es gibt so viele! Je länger ich lebe, je mehr Erfahrungen ich anhäufe, desto weniger begreife ich, wie das Leben eines einzigen Menschen ausreichen soll, um auch nur eine annähernde Vorstellung von der Zahl der Laster zu bekommen. Und dennoch reicht…
    Und was ist das Bindeglied zwischen Laster und Skandal, zwischen dem Schlüssel des Lebens und seiner wichtigsten Manifestation? Das Geld, das großartige, phantastische Geld, auf das sich alles bezieht. Und außerdem der Wert. Der Wert ist ein ungreifbares Fluidum, schillernd in den Regenbogenfarben der merkwürdigsten aller menschlichen Errungenschaften: der Fähigkeit zu drucken.
    Aber ich bin vom Thema abgekommen. Ich sprach gerade von unserer Anfangszeit in Pringles. Es waren seltsame Augenblicke, die einem gerade aufgrund ihrer Flüchtigkeit ewig vorkamen. Ich war wie besessen von diesem Gefüge, und noch vor dem Bau des Forts hatte ich eine Idee. Ich erinnerte mich daran, was in Kanada passiert war, in den Anfangszeiten der Kolonie: Der Gouverneur unterschrieb Spielkarten und brachte sie als Papiergeld in Umlauf. Das ahmte ich nach. Zum Glück hatten die Soldaten jede Menge Kartenspiele dabei, und mit diesen Kartenspielen überstanden wir ein ganzes Jahr.» Er brach in Gelächter aus und klatschte sich lautstark auf die Schenkel. «Ja, ja! Das sind schöne Erinnerungen! Meine Neuerungswut war so groß, dass ich noch einen Schritt weiter ging. Ich nahm eine ganz besondere Karte mit auf. Den Joker. Wer ihn besaß, konnte ihm jeden Wert zuweisen, beliebig und unbegrenzt… Alle dachten, jetzt bräche das Chaos aus, aber ich habe es geschafft, mit Hilfe der despotischen Vieldeutigkeit. Alle glaubten, der Besitzer des Jokers würde zum Herrscher der Welt, dabei entpuppte er sich als gefährdetes Küken. Die Joker waren im Umlauf. Und nichts geschah. Sie waren eine Art von Geld, die wenig Reiz ausübte: Niemand wollte sie länger als einen Tag in seiner Gewalt haben. Sie hemmten das Denken. Weil sie zu bequem waren. Inzwischen sind die anderen vierzig Werte verschwunden, aber die Joker, die sind immer noch im Umlauf. Natürlich haben sie weite Wege zurückgelegt und längst das ganze Indianerreich durchlaufen. Haben Sie nicht zufällig einen gesehen?»
    Erna schüttelte den Kopf.
    «Die Indianer hatten damals gute Druckerpressen. Sie wurden aus dem Norden angeliefert, Baigorria fungierte als Zwischenhändler. Tausendmal raubten sie Pressen vom Typ ‹Findelkind›. Wir sahen uns gezwungen, einem Anführer aus der Gegend eine Maschine zu stehlen, einem gewissen Lubo (danach zog er weg, wer weiß, wohin. Ohne Presse fühlte er sich entmannt). Wir führten eine Kommandooperation aus. Es handelte sich um eine Presse vom Typ ‹Schmetterling›, mit einem Fundament für die Druckplatten und einem fürs Papier, dazu eine Drehspindel, um sie zu justieren. Zwei Korkrollen dienten zum Einfärben. Das Papier wurde mit einer riesigen Kurbel durchgezogen. Vorsintflutlich war sie, abgewrackt, der Krach, den sie veranstaltete, jagte einem Schauer über den Rücken, ha, ha.» Lachend ahmte er die Erschütterungen der Maschine nach. Dann seufzte er. «Ach, was

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