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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
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reflektiert lediglich das Flimmern der Atmosphäre.
    Was hielt sie in der Luft? Nicht immer schätzten die Wilden die Kunst des Seiltanzes. Sie nahmen sie gleichgültig hin. Manchmal ging flink und unter Gelächter ein Fettwanst so dick wie ein Sumo-Ringer vorüber. Der schlechte Geschmack war in ihren Improvisationen immer latent spürbar. Wahrscheinlich war alles, was sie machten, ein Abschweifen vom schlechten Geschmack.
    Das kleine Orchester, das ihre Figuren begleitete, schien vor allem eine Funktion zu haben: zu verstummen – und das tat es jederzeit. Ständig bot sich eine Gelegenheit, eine geheimnisvolle Stille herzustellen, während die schwebenden Artisten hoch oben Kopf und Kragen riskierten. Der Legende nach war es der Teufel höchstpersönlich gewesen (dessen Name eines der Etymone des Namens Pillahuinco bildete), der den Menschen die Kunst der Musik gebracht hatte. Aber nicht direkt. Der Teufel hatte sie Zwischenmächten übertragen: dem Teuflischen, der Kunst, dem Menschlichen…
    Schließlich verebbte der spärliche Applaus, mit dem jeder neue Auftritt bedacht wurde, und die Menge aß weiter, ohne den Seiltänzern weiter Beachtung zu schenken. Hoch oben, verborgen im Grün ihrer Nischen, nagten die Künstler die Reste ab. Der Platz war bevölkert von einer bunten Schar von Leuten, die auf dem Boden saßen oder auf Decken oder Sattelpolstern lagen. Kaziken aller Rangstufen, die aus dem weiten Becken zwischen Carhué und Bahía Blanca stammten, waren an jenem Morgen eingetroffen, um den jährlichen Fasanenmarkt zu besuchen.
    Der gastgebende Kazike war Calvaiú. In diesem Jahr fiel ihm die Aufgabe zu, die höchste Versammlung der Züchter zu leiten. Seine Ingenieure arbeiteten bereits seit Monaten an den Gehegen für die Ausstellung, die sich die Gäste am Morgen ansahen, und außerhalb der Stadt hatte er ein ovales Amphitheater errichten lassen, wo die Versteigerung stattfinden sollte, der Höhepunkt des Marktes, wegen der Gebote, die durch die Präsentation eines einzigartigen Fasans entfesselt zu werden pflegten.
    Jetzt saßen die prominenteren Gäste vor dem Eingang der Apadama im Kreis und frühstückten, während die anderen über den Platz verstreut waren. Sie brieten eine Unmenge von heimischem Wild und Geflügel, darunter unzählige Tschatschalakas, von denen es in dieser Gegend wimmelte. Alle Welt hatte schnell die Nase voll davon und trank unablässig die großartigen Schaumweine Calvaiús.
    Wie immer, wenn sich die Magnaten trafen, war die Kunst des Geldes das Thema, das für die besten Gespräche sorgte. Und da sie für die Kaufgeschäfte ihre erlesenste Produktion mitgebracht hatten, stand ihnen genügend Material zur Verfügung, um zu vergleichen und Ideen aufzuschreiben. Von Zeit zu Zeit erhob sich aus einer der Gruppen ein vielstimmiges Gemurmel, das häufig von der plötzlichen Zurschaustellung eines besonders gewagten oder eines ungewöhnlich gut gedruckten Geldscheins herrührte. Man sprach über Tinten- und Papiersorten, über Wasserzeichen und Druckplatten, über Tausende von technischen Kinkerlitzchen. In dieser Phase der indianischen Kultur bestand die einzige Möglichkeit, einen Fortschritt zu erzielen, darin, das Papiergeldsystem durch eine Neuerung zu bereichern, wodurch der Erfindergeist der Reichen stets wach und immer auf der Jagd nach Neuheiten war. Jeder wollte sich seinen «Originalitätsspielraum» bewahren, stellte aber gleichzeitig alles Erdenkliche an, um in den der anderen einzudringen. Sie hielten ihn ständig in Bewegung, verlagerten ihn vor allem über das Denken hinaus, um ihn unberührbar zu machen, wie Künstler.
    In dieser Menge befanden sich auch Erna und zwei ihrer Freunde. Sie saßen auf einer achteckigen Decke neben einer von Calvaius Ehefrauen, die ihnen alle Fragen beantworten sollte. Der Kazike stellte allen Teilnehmern mit Kaufabsichten eine Hostess zur Verfügung, nicht nur aus Höflichkeit, sondern um sicherzustellen, dass sie den Bietmechanismus verstanden und so viel Geld ausgaben, wie sie sich vorgenommen hatten. Das Frühstück war vorbei, und nun tranken und rauchten sie. Bob, der eine Freund, hatte den ganzen Körper mit einem schwarzen Muster bemalt und ein schwarzes Band um den Arm gebunden, in das er lange rote Federn gesteckt hatte. Der andere war sein Bruder Héctor, ein gertenschlanker Jüngling mit glatten, kindlichen Gliedern, ohne ein Gramm Pigment, außer am Kopf, der vom Hals an aufwärts, einschließlich der helmartig geschnittenen

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