Die Meute der Morrigan
immer größer wurde.
Das Licht schien die Macht zu
haben, ihn zu bannen und ihn in eine gefährliche andere Welt zu ziehen: es
hatte etwas Bezwingendes. Zu seinem Entsetzen merkte er, daß er ihm nicht
widerstehen konnte. Die Augen verschwanden, und er sah sich in einen dunklen
Wald versetzt, in dem die Bäume auf bösartige Weise lebendig waren und bleiche,
tückische Blumen versuchten, nach ihm zu greifen. Es war eine grauenerregende
Welt, und die Gräser wollten sich um seine Knöchel winden und ihn für immer
gefangenhalten.
Da beendete Tante Bina ihr
Abendgebet und ging ins Bett; dabei quietschten die Sprungfedern. Dieses ganz
gewöhnliche Geräusch ließ den Traum zerfallen, Pidge erwachte und stellte fest,
daß die Seite verschwunden war.
Er hatte sie in der Hand
gehalten, und sie war verschwunden!
Das erste Gefühl, das ihn
durchfuhr und ihn von Kopf bis Fuß mit größter Erleichterung erfüllte, war helle
Freude darüber, daß das häßliche Ding fort war. Augenblicklich erinnerte er
sich an die Stimme im Kamin-Traum, die ihm gesagt, ja befohlen hatte, er
solle es in Eisen einsperren, und da wußte er, daß er es finden mußte, ganz
gleich, was geschehen würde. Er kniete sich hin und sah unter das Bett.
Da steckte es zur Hälfte in
einer Ritze zwischen den Dielenbrettern; hatte es etwa versucht zu entkommen?
Pidge griff unter das Bett und
kriegte es zu fassen. Er nahm das Blatt mit der lateinischen Schrift von Patrick
und packte das Schlangenbild darin ein, indem er es zweimal rasch in der Mitte
faltete; dann hielt er es in seiner Faust fest. Er wartete darauf, daß Tante
Bina einschlafen würde. Er lauschte auf ihren ersten Schnarchlaut.
Als er ertönte, klang das schön
und musikalisch und sehr menschlich. Ich hätte nie geglaubt, daß ich das so
empfinden könnte, sagte Pidge zu sich.
Er verließ sein Zimmer und
schlich sich in die dunkle Küche hinunter. Das Feuer leuchtete kein bißchen
mehr. Tante Bina hatte den brennenden Torf mit Asche belegt, damit die Glut die
ganze Nacht weiterglomm. Es gab in manchen Häusern Feuer, die seit zweihundert
Jahren oder länger nicht mehr erloschen waren.
Er kniete nieder und blies
etwas von der Asche weg, um dem Torf ein wenig Licht abzulocken.
Neben dem Ofen stand Tante
Binas schwerer eiserner Topf mit flachem Deckel und Henkeln an beiden Seiten,
mit denen man ihn an einen aus dem Kamin herunterbaumelnden Haken hängen
konnte. Er hatte drei Beine, damit man mit ihm im Kamin kochen konnte, wenn man
unter ihm ein kleines eigenes Feuer entzündete und die roten glühenden
Torfstücke auf den Deckel legte. Man konnte das Essen darin schmoren, backen
oder braten.
Pidge sah ihn an, und ihm war
augenblicklich klar, daß dies das Gefängnis war, das er brauchte. Er hob den
schweren Eisendeckel hoch und legte die zusammengefalteten Blätter auf den
Boden des Topfes. Sie flatterten, als seien sie empört. Er stand auf und holte
vom Kaminsims ein altes Bügeleisen, das er als eiserne Beschwerung auf die Seiten
legte, bevor er den Deckel schloß. Um ganz sicherzugehen, schob er die
Feuerzange durch das Halboval des Griffs auf dem Deckel, damit ihr eisernes
Gewicht die Hindernisse noch verstärkte.
Sorgfältig bedeckte er den Torf
mit ein paar Schaufeln voll Asche, um die Glut weiter zu erhalten.
Dann ging er frohgemut zu Bett.
Es hatte zu regnen begonnen;
wie angenehm war es, im Bett zu liegen und zu hören, wie die Tropfen an den
Fenstern pickten.
Er hatte es behaglich und
fühlte sich sicher und warm. Der ungewöhnliche Himmel hatte doch nur Regen
angekündigt Er drehte sich um und kuschelte sich noch tiefer ins Kissen, aber
ein Ohr ließ er unbedeckt, um auf den Regen zu lauschen.
In diesem Augenblick sprang
dröhnend ein schweres Motorrad genau unter seinem Fenster an. Es heulte ein
paarmal auf und fuhr dann davon. Dem Geräusch nach mußte es über eine Mauer
springen; dann wurde der Lärm schwächer, je mehr es sich entfernte.
Pidge sprang aus dem Bett und
schaute hinaus. Aber er war zu spät dran.
Wer es auch gewesen sein mochte
— jetzt war er weg, und Pidge konnte sowieso kaum etwas durch den Regenschleier
hindurch sehen.
Er stieg wieder ins Bett.
Der Gedanke war nicht angenehm,
daß dieser Jemand ihn vielleicht durch das Fenster beobachtet hatte, während er
in der Küche war.
Das eiserne Gefängnis hat wohl
seinen Zweck erfüllt, dachte er.
Er begann sich gerade zu
wundern, warum Tante Bina oder Brigit nicht von dem Lärm aufgewacht waren,
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