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Die Meute der Morrigan

Die Meute der Morrigan

Titel: Die Meute der Morrigan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pat O'Shea
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Bina hatte seine Spur verfolgt.
Trotzdem siegte das kleine Huhn. Es verließ den Hof nie, wenn jemand
hinschaute, sondern tat so, als suche es den Boden nach Leckerbissen ab, wobei
es immer mit seinen hellen Augen wachsam um sich blickte. Doch sobald niemand
auf dem Hof war, verschwand es. Es war schlau genug, sich in Deckung zu halten,
und blieb in der Nähe von Mauern und unter Büschen, und es wäre ihm nicht im
Traum eingefallen, mitten über ein Feld zu laufen, wo man es ja hätte sehen
können.
    Pidge konnte zuerst gar nicht
zuhören, weil er immer noch über seinen wunderbaren Traum staunte, doch
allmählich öffnete er seine Gedanken ihrer Stimme. Jedes Wort, das sie sagte,
trug ihn ein Stückchen fort von dem Wunder, und doch schien ihm, als würde er
es nie mehr ganz verlieren. Der Gedanke, es für immer zu besitzen und sich in
Erinnerung rufen zu können, wann immer er wollte, machte ihn glücklich.
    Schließlich war es Zeit, ins
Bett zu gehen.
    Er öffnete den Riegel seiner
Schlafzimmertür und betrat den kleinen, gemütlichen Raum. Leise schloß er die
Tür, um Brigit, deren Atemzüge er durch die Trennwand hörte, nicht zu stören.
Er setzte sich auf sein Bett und öffnete das zerschlissene Buch. Dabei
flatterte wieder das lose Blatt heraus, fast so, als strebe es von ihm fort.
Pidge fing es auf, bevor es den Boden berührte, und beugte sich vor, um
möglichst viel Licht darauf fallen zu lassen.
    Jetzt, wo er es genau sah,
entdeckte er, daß es nicht nur ein einzelnes Blatt war, sondern zwei, die
zusammenklebten. Zumindest waren sie einmal zusammengeklebt gewesen, aber jetzt
lösten sie sich voneinander.
    Die obere Seite war leer bis
auf ein großes gezeichnetes Kreuz. Unter dem Kreuz sah man eine blasse Schrift
in großen Buchstaben. Die Schrift war lateinisch.
    Er konnte sie lesen, aber er
verstand nur ein oder zwei Worte davon. Er las:
     

     
     
    In Saecula Saeculorum Amen, das hieß doch: für alle
Zeiten, so sei es. Das war einfach. Er kannte es aus Gebeten. Und Patricus mußte
auf Lateinisch Patrick heißen. Irgendwas hieß es da von Sic , wie sick. Hieß das, jemand war krank? Und verbis — bedeutete es, daß jemand krank
von Verben war? Oder war die Rede von einem alten Heilmittel für einen Kranken?
    Wie schade, daß ich erst zehn
bin und noch nicht mit Latein angefangen habe, sonst könnte ich dieses Rätsel
leicht lösen, sagte er sich. Ich werde alles tun, um herauszubekommen, was es
bedeutet Ein Gelehrter müßte es wissen. Ob die untere Seite wohl interessanter
ist?
    Es war komisch; er konnte
nämlich nicht richtig sehen, was darauf war. Jedesmal, wenn er einen Teil
anschaute, begannen die Stellen, die er nicht anschaute, auf dem Blatt hin- und
herzuwandern und sich zu verändern. Er konnte aus dem Augenwinkel/ast mit
verfolgen, wie es geschah. Er versuchte, jeden Zentimeter so schnell wie
möglich mit den Blicken zu erfassen, aber er war nie schnell genug, um zu
sehen, wie es vor sich ging. Jedesmal, wenn sein Blick sich von einer Stelle
wegbewegte, begann diese Stelle sich zu verändern. Wie sehr er sich auch
bemühte, ganz schnell wieder dort hinzusehen, er schaffte es nie rechtzeitig.
Diese Stelle blieb dann unverändert — während die Stelle daneben seinen Blick
anzuziehen versuchte, indem sie sich zu verschieben, zu tanzen oder einfach zu
zittern schien.
    Er schloß die Augen fest und
preßte die Lider mit aller Kraft zusammen. Einen Augenblick hielt er sie
geschlossen, so fest es nur ging, dann öffnete er sie blitzschnell und sah
gebieterisch auf das Blatt.
    Da erkannte er sie.
    Es war eine Schlange.
    Serpens! dachte er, das hieß
doch Schlange. Davon also handelte die Schrift
    Merkwürdig war, daß sie gar
nicht auf die Seite gemalt zu sein schien. Sie sah eher aus, als sei sie
gemeißelt — aus grünem Glas gemeißelt. Unglaublich war es auch, daß er einen Augenblick
zuvor noch gar nichts gesehen hatte und daß jetzt plötzlich dieses lebendige,
glänzende Ding da war — so als hätte jemand mit unsichtbarer Hand einen Vorhang
beiseitegezogen.
    Es war so, als wolle die
Schlange nun gesehen werden.
    Sie war lang und dünn und wand
sich in einem verwickelten Schlingenmuster. Ihr Kopf sah beinahe lebendig aus,
tat aber so, als wäre er es nicht. Die gespaltene Zunge schien zu zucken, und
waren ihre Augen eben nicht ein winziges Stückchen weitergeglitten?
    Ein Lichtpünktchen erschien in
ihren Augen und flammte zu einem blauen Funken auf. Pidge starrte auf ihn,
während er

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