Die Mglichkeit einer Insel
weil sie jünger waren. Vermutlich war der narzißtische Konkurrenzkampf zwischen ihnen unerbittlich — die einen wurden von den Jungen in ihrem Alter als hübsch angesehen, die anderen als nichtssagend oder richtig häßlich; und dennoch wäre jeder Mann um die Fünfzig bereit gewesen, für irgendeinen dieser jungen Körper Geld zu zahlen, viel Geld, und sogar seinen Ruf, seine Freiheit, ja sein Leben aufs Spiel zu setzen. Wie einfach doch das Leben war! Und wie ausweglos! Als ich Isabelle an jenem Tag in der Redaktion abholte, hatte ich versucht, eine Weißrussin anzumachen, die darauf wartete, für das Foto auf Seite 8 zu posieren. Das Mädchen war einverstanden, ein Glas mit mir zu trinken, verlangte aber fünfhundert Euro für einmal Blasen; ich lehnte ab. Zu jener Zeit wurde das Jugendschutzgesetz verschärft und insbesondere der Sexualverkehr mit Minderjährigen mit immer höheren Strafen geahndet; die Forderung nach medikamentöser Kastration wurde immer lauter. Die sinnliche Begierde bis ins Unerträgliche zu steigern und deren Befriedigung immer mehr zu erschweren, das war das Grundprinzip, auf dem die westliche Gesellschaft basierte. All das kannte ich, das kannte ich nur zu gut, ich hatte diesen Stoff in vielen meiner Sketche verarbeitet; doch das hinderte mich nicht daran, selbst in die Falle zu tappen. Ich wachte nachts auf, kippte drei große Gläser Wasser hinunter. Ich stellte mir die Erniedrigungen vor, denen ich mich aussetzen würde, wenn ich irgendein Teeny zu verführen suchte; die schwer zu erlangende Zustimmung der Kleinen, ihre Scham, wenn sie sich mit mir auf der Straße zeigte, ihr Zögern, mich ihren Freunden vorzustellen, und die Leichtigkeit, mit der sie mich für einen Jungen in ihrem Alter verlassen würde. Ich stellte mir das alles vor, stellte mir vor, wie sich das mehrmals wiederholte, und begriff, daß ich das nie überleben würde. Ich bildete mir nicht etwa ein, daß ich mich den Gesetzen der Natur entziehen konnte; der Tendenz zur Abnahme der erektilen Fähigkeiten des Penis, der Notwendigkeit, junge Körper zu finden, um diesen Mechanismus zu bremsen … Ich machte eine Packung Salami und eine Flasche Wein auf. Na gut, dann zahle ich eben, sagte ich mir; wenn es soweit ist, daß ich den hübschen Hintern kleiner Mädchen brauche, um eine dauerhafte Erektion zu bekommen, dann zahle ich. Aber ich zahle den Marktpreis. Fünfhundert Euro für einmal Blasen, für wen hielt die sich eigentlich, diese kleine Slawin? So was war fünfzig Euro wert, mehr nicht. Im Gemüsefach entdeckte ich einen angebrochenen Fruchtjoghurt. Was mich in dieser Phase meiner Überlegung so schockierte, war nicht etwa die Tatsache, daß es Teenies gab, die für Geld zu haben waren, sondern der Umstand, daß es Mädchen gab, die nicht zu haben waren oder nur zu unerschwinglichen Preisen; kurz gesagt, ich war für Marktsteuerung.
»Na gut, aber du hast nicht gezahlt …«, bemerkte Isabelle. »Und fünf Jahre später hast du dich noch immer nicht dazu entschlossen. Nein, die Sache dürfte anders laufen, eines Tages lernst du ein Mädchen kennen — keine Lolita, sondern eher eine Zwanzig- oder Fünfundzwanzigjährige —, und dann verliebst du dich in sie. Bestimmt ein intelligentes, sympathisches und vermutlich hübsches Mädchen. Eine Frau, die eine gute Freundin abgegeben hätte …« Es war dunkel geworden, und ich konnte ihre Gesichtszüge nicht mehr erkennen. »Die ich hätte sein können …« Sie sagte das sehr ruhig, aber ich wußte nicht so recht, wie ich ihre Ruhe auslegen sollte, denn im Ton ihrer Stimme lag etwas Ungewöhnliches, und ich hatte keinerlei Erfahrung mit solchen Situationen, schließlich war ich nie verliebt gewesen, bevor ich Isabelle kennenlernte, und bis dahin hatte sich auch keine Frau in mich verliebt, abgesehen von Bratarsch, aber das war eine andere Geschichte, sie war mindestens fünfundfünfzig, als ich sie kennenlernte, wenigstens glaubte ich das damals, sie hätte, wie mir schien, meine Mutter sein können, und was mich anging, konnte dabei von Liebe keine Rede sein, das wäre mir nie in den Sinn gekommen, und vergebliche Liebe ist noch etwas anderes, ziemlich Unangenehmes, da dabei nie die gleiche Nähe, nie die gleiche Empfänglichkeit für die Stimmungen des anderen da ist, nicht einmal bei dem, der vergeblich liebt, denn er ist viel zu sehr von seiner hoffnungslosen Erwartung besessen, um einen klaren Kopf zu bewahren und imstande zu sein, irgendwelche Zeichen richtig
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