Die Mglichkeit einer Insel
zu deuten; kurz und gut, ich befand mich in einer Situation, die ich in meinem bisherigen Dasein noch nie erlebt hatte.
Niemand kann über sich hinausschauen, schreibt Schopenhauer, um deutlich zu machen, daß der Gedankenaustausch zwischen zwei Menschen von zu unterschiedlichem geistigen Niveau unmöglich ist. In diesem Augenblick konnte Isabelle ganz offensichtlich über mich hinausschauen; ich war vorsichtig genug, um zu schweigen. Schließlich war es ja möglich, daß mir so ein Mädchen nie begegnen würde; wenn man bedenkt, wie gering die Anzahl der Leute war, mit denen ich zusammenkam, war das sogar höchst wahrscheinlich.
Sie kaufte weiterhin französische Zeitungen, allerdings nicht oft, nicht mehr als einmal in der Woche, und ab und zu hielt sie mir mit einem verächtlichen Schnauben einen Artikel hin. Etwa um diese Zeit starteten die französischen Medien eine große Kampagne zur Aufwertung der Freundschaft, vermutlich hatte Le Nouvel Observateur damit begonnen. »Liebe kann in die Brüche gehen, Freundschaft nie«, das war in etwa der Tenor dieser Artikel. Ich begriff nicht, was für einen Sinn es haben könne, solchen Schwachsinn zu verbreiten; lsabelle erklärte mir, daß es sich um einen Dauerbrenner handele, also um eine alljährlich wiederkehrende Variation über das Thema »Wir trennen uns, aber wir bleiben gute Freunde«. Ihr zufolge würde es noch vier oder fünf fahre dauern, ehe man zugeben konnte, daß der Übergang von Liebe zu Freundschaft, also von einem starken zu einem schwachen Gefühl, selbstverständlich der Auftakt für das Verschwinden jeglichen Gefühls sei — historisch gesehen natürlich, denn auf individueller Ebene war Gleichgültigkeit noch bei weitem die günstigste Variante: Wenn die Liebe zerbrach, verwandelte sie sich im allgemeinen nicht in Gleichgültigkeit und erst recht nicht in Freundschaft, sondern in Haß. Von dieser Bemerkung ausgehend, schrieb ich ein Drehbuch mit dem Titel Zwei Fliegen später, das den Höhepunkt — und das Ende — meiner Karriere als Drehbuchautor bedeuten sollte. Mein Agent war hocherfreut, als er erfuhr, daß ich mich wieder an die Arbeit machte — zweieinhalb Jahre Abwesenheit ist eine lange Zeit. Seine Freude schwand jedoch, als er das Ergebnis in den Händen hielt. Ich hatte ihm nicht verheimlicht, daß es das Drehbuch für einen Film war, den ich selbst drehen wollte, und mit mir in der Hauptrolle; das sei nicht das Problem, ganz im Gegenteil, sagte er zu mir, die Leute warten schon lange auf etwas Neues, und eine Überraschung ist immer gut, das kann zu einem Kultprodukt werden. Der Inhalt dagegen… Ganz ehrlich, ob ich damit nicht ein bißchen zu weit ginge?
Es sollte ein Film über das Leben eines Mannes werden, dessen Lieblingsbeschäftigung darin bestand, Fliegen mit einem Gummiband zu töten (daher der Titel); meistens verfehlte er sie — schließlich dauerte der Film drei Stunden. Fast genauso gern, aber nur fast so gern, ließ sich dieser gebildete Mann, der ein großer Leser von Pierre Louys war, den Pimmel von kleinen, noch nicht geschlechtsreifen Mädchen ablutschen — von Mädchen bis höchstens vierzehn, sagen wir mal; und das klappte besser als mit den Fliegen.
Im Gegensatz zu dem, was in den gekauften Medien anschließend berichtet wurde, war dieser Film kein totaler Flop; im Ausland erzielte er teilweise sogar einen regelrechten Triumph und brachte in Frankreich immerhin einen beachtlichen Gewinn ein, ohne allerdings die Summe zu erreichen, die man sich angesichts meiner bisher atemberaubend steil ansteigenden Karriere erhoffen konnte; das ist alles.
Sein Mißerfolg, was die Kritik anging, ließ sich allerdings nicht leugnen; er scheint mir heute noch unverdient. »Eine wenig überzeugende Klamotte«, schrieb Le Monde und umging damit geschickt das Problem, das in den anderen Blättern, die sich gern als Moralhüter aufspielten, die Leitartikler beschäftigte, und zwar die Frage, ob man den Film verbieten solle oder nicht. Natürlich handelte es sich um eine Komödie, und die meisten Gags waren ziemlich billig, wenn nicht gar vulgär; aber in manchen Szenen gab es immerhin ein paar Dialoge, die aus heutiger Sicht betrachtet für mich zu den besten gehören, die ich je geschrieben habe. Vor allem in der langen Plansequenz, die in Korsika auf den Hängen des Col de Bavella gedreht worden ist und bei der der Hauptdarsteller (also ich) sein Ferienhaus der kleinen Aurore (neun Jahre) zeigt, deren Herz er bei einem
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