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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Isabelle mich verlassen hatte, war ich es nicht mehr gewohnt, mit Menschen zu sprechen, die intelligenter waren als ich und imstande, meine Gedanken zu erraten; was er gerade gesagt hatte, war vor allem erschreckend wahr, und einen Augenblick lang blieben wir beide etwas befangen — sexuelle Themen sind immer ein bißchen heikel, und um die Atmosphäre aufzulockern, schnitt ich ein politisches Thema an, immer noch unter dem Aspekt der Aktionskunst, und erzählte ihm, wie die trotzkistische Splittergruppe Lutte Ouvriere ein paar Tage nach Öffnung der Berliner Mauer Dutzende von Aufrufen in Paris plakatiert hatte, auf denen zu lesen war: »Der Kommunismus ist noch immer die Zukunft der Welt.« Er hörte mir sehr aufmerksam und mit einem kindlichen Ernst zu, der mich allmählich bedrückte, und sagte dann zusammenfassend, daß diese Aktion zwar möglicherweise eine politische Bedeutung gehabt habe, sie jedoch keinerlei poetische und künstlerische Dimension besitze, da Lutte Ouvriere in erster Linie eine Partei und somit eine ideologische Maschine war, und daß Kunst immer eine cosa individuale sei; sogar wenn sie sich in Form von Protest ausdrücke, habe sie nur dann einen Wert, wenn es sich um einen individuellen Protest handele. Er entschuldigte sich für seinen Dogmatismus, lächelte traurig und sagte dann: »Willst du sehen, was ich mache? Dann müssen wir nach unten gehen … Ich glaube, danach wird die Sache konkreter.« Ich stand auf und folgte ihm zu der Treppe, die vom Eingangsflur hinabführte. »Ich habe die Zwischenwände rausgerissen und dadurch einen Raum von zwanzig mal zwanzig Metern im Keller zur Verfügung; vierhundert Quadratmeter ist genau das Richtige für das, was ich im Augenblick mache …«, fuhr er mit unsicherer Stimme fort. Mir wurde immer unbehaglicher zumute: Ich hatte mich zwar schon oft mit Leuten über das Showgeschäft, über Medienarbeit und Mikrosoziologie unterhalten, aber nie über Kunst, und ich ahnte dunkel, dass es sich um etwas Neues handeln würde, das gefährlich und möglicherweise tödlich war; ein Bereich, in dem man — ähnlich wie in der Liebe — so gut wie nichts gewinnen, aber fast alles verlieren konnte.
    Nach der letzten Stufe setzte ich den Fuß auf einen ebenen Boden und ließ das Treppengeländer los. Es herrschte völlige Finsternis. Hinter mir drückte Vincent auf einen Schalter.
    Zunächst tauchten unbestimmte blinkende Formen auf, wie eine Prozession von winzigen Gespenstern; dann erhellte sich ein paar Meter links von mir ein Bereich. Ich begriff überhaupt nicht, aus welcher Richtung die Beleuchtung kam; das Licht schien von dem Raum selbst hervorgebracht zu werden. »BELEUCHTUNG IST METAPHYSIK …«: Der Satz ging mir mehrere Sekunden lang durch den Kopf, dann verschwand er. Ich ging auf die Gegenstände zu. In einem Kurort in Mitteleuropa fuhr ein Zug ein. Die schneebedeckten Berge im Hintergrund lagen in gleißendem Sonnenlicht; glitzernde Seen, Almen. Die jungen Damen sahen reizend aus, trugen lange Kleider und Hüte mit Schleiern. Die Herren grüßten sie lächelnd und lüfteten den Zylinder. Alle sahen glücklich aus. »SCHÖNE NEUE WELT …«: Der Satz funkelte ein paar Sekunden auf und verschwand wieder. Die Lokomotive dampfte ein wenig, wirkte wie ein großes gutmütiges Tier. Alles schien sehr ausgeglichen, an seinem Platz. Die Beleuchtung wurde allmählich schwächer. Auf den Glaswänden des Casinos spiegelte sich die untergehende Sonne, und die herrschende Freude war von deutscher Ehrlichkeit geprägt. Dann wurde es wieder völlig dunkel, und im Raum wurde eine gewundene Linie aus durchsichtigen roten Plastikherzen sichtbar, die halb mit einer pulsierenden Flüssigkeit gefüllt waren. Ich folgte der Linie der Herzen, und eine neue Szene tauchte auf: Diesmal handelte es sich um eine asiatische Hochzeit, die vielleicht in Taiwan oder in Korea gefeiert wurde, auf jeden Fall in einem Land, das erst seit kurzem den Reichtum kannte. Mehrere blaßrote Mercedes setzten die Gäste auf dem Vorplatz einer neugotischen Kathedrale ab; der Bräutigam schwebte in einem weißen Smoking einen Meter über dem Erdboden durch die Luft, sein kleiner Finger war mit dem seiner Braut verschränkt. Dickbäuchige, von bunten Glühbirnen umgebene chinesische Buddhas bebten vor Freude. Eine seltsame, flüssige Musik wurde allmählich lauter, während sich das Brautpaar immer höher in die Lüfte erhob, bis es schließlich über der Hochzeitsgesellschaft schwebte — es

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