Die Midlife-Boomer
Präferenzen der Umzugswilligen gesucht werden.
In Deutschland sind derartige »Bestenlisten« noch unbekannt, wohl auch weil die Menschen hierzulande generell weniger mobil sind als in den USA. Doch auch hier steigt die Bereitschaft seit Jahren, im Alter noch einmal umzuziehen. Und schon gibt es auch die ersten Städte, die ganz bewusst damit Werbung machen, dass sie besonders auf die Bedürfnisse Älterer ausgelegt sind.
Eine davon ist der Kurort Bad Sassendorf in Nordrhein-Westfalen. Schon vor Jahren hat der 12.000-Einwohner-Ort in der Nähe von Soest begonnen, aktiv um Senioren zu werben. Der Kurpark wurde noch schöner, die Wege barrierefrei, überall gibt es Rampen für Rollstuhlfahrer statt Treppen. Dutzende von Cafés und Gaststätten bieten für jeden Geschmack etwas. Und jeden Tag ist ab dem späten Nachmittag Seniorentanz.
Die Strategie von Bürgermeister Bahlmann ging auf: Immer mehr Senioren sind nach Bad Sassendorf gezogen, so dass der Ort seine Einwohnerzahl sogar noch steigern konnte. Nun ist das Durchschnittsalter dort so hoch, wie es in ganz Deutschland erst im Jahr 2034 nach Berechnungen des Prognos-Instituts sein wird.
Wer in Bad Sassendorf spazieren geht, sieht fast nur graue Schöpfe. Und eine Menge Rollstuhlfahrer. Eine Dame aus Bochum schiebt ihren Mann, beide haben den Aufenthalt in Bad Sassendorf als Geburtstagsgeschenk bekommen. »Es ist sehr behindertengerecht hier, das ist wirklich angenehm für uns«, sagt sie. Sogar die Saline ist rollstuhlgerecht mit einer Rampe ausgerüstet.
Auch Görlitz in Ostdeutschland gehört zu den Orten, die konsequent auf den Zuzug Älterer setzen. Man lädt sogar ganze Busladungen von Senioren an die deutsch-polnische Grenze ein und wirbt damit, besonders altengerecht zu sein. In Meppen im Emsland entsteht gerade eine eigene kleine Siedlung mit 44 Häusern und einem Gemeinschaftszentrum nur für Senioren. »Gerontopolis« taufte die Süddeutsche Zeitung den Ort.
Genauso wie in den Vereinigten Staaten sind es eher wohlhabende Senioren, die sich in den eigens für sie hergerichteten Kommunen niederlassen. Kommen sie neu in die Stadt, sind sie oft weit gereist und noch mobil, schließlich haben sie sich bewusst für den Umzug entschieden.
Die ersten Probleme tauchen einige Jahre später auf, wenn aus agilen 75-Jährigen eventuell pflegebedürftige 85-Jährige werden. Eine Seniorenkommune wie Bad Sassendorf altert dann noch schneller. Sollte das Vermögen der Neubürger nicht reichen, kehrt sich der ursprüngliche Vorteil der Zuzügler, Wohlstand in die Stadt zu bringen, ins Gegenteil um. Dann muss die Kommune die Grundsicherung übernehmen und Miet- und Lebenskosten der Senioren bezahlen.
In der Grundsicherung steckt eine bislang noch kaum diskutierte Sprengkraft für die öffentlichen Haushalte. Auch deshalb sollten Bürgermeister daran interessiert sein, Bedingungen in ihrer Stadt zu schaffen, die die Bewohner möglichst lang gesund und fit halten.
Schon seit einigen Jahren nämlich steigt die Zahl derer, die Leistungen der Grundsicherung erhalten. Waren es 2003 noch rund 439.000 Leistungsempfänger, 157 wurden zu Ende des Jahres 2010 rund 797.000 Personen 158 gezählt. Auf 1000 Mitbürger über 65 Jahre umgerechnet, sind das 28 Frauen und 20 Männer.
Auch die Kosten dafür steigen. Betrugen die Ausgaben für die Grundsicherung im Jahr 2006 insgesamt 3,158 Milliarden Euro, so waren 2010 schon 4,107 Milliarden Euro fällig. Das entspricht etwa 18,9 Prozent der Sozialhilfeausgaben 159 . Ab dem Jahr 2012 übernimmt der Bund schrittweise die Kosten für die Grundsicherung 160 und wird im Jahr 2015 dann 4,35 Milliarden Euro jährlich beisteuern.
Bad Sassendorf hat sich jedenfalls vor kurzem entschlossen, den Trend wieder umzukehren, und wirbt jetzt auch um junge Familien. Das Beispiel zeigt aber sehr schön, wie empfehlenswert es ist, sich über die Altersschichtung in der Stadt oder Kommune, in der man zukünftig leben möchte, zu informieren. Denn diese ist zwar durch Wanderungen zu beeinflussen, doch dürften derart dramatische Veränderungen wie in Ostdeutschland eher der Sonderfall sein. In der Regel gilt, dass ein Blick auf die bestehenden Verhältnisse einen sehr guten Indikator für die anstehenden Veränderungen der nächsten zwei Jahrzehnte gibt.
Auch in der kleinen Gemeinde Hiddenhausen in Ostwestfalen-Lippe kam der Schock mit diesen Zahlen. »Wir haben im Jahr 2004 einen Altersatlas unserer Kommune anfertigen lassen«, erinnert sich
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