Die Mission des Wanderchirurgen
scharfes Minz-öl. Allerdings ist mir noch nie zu Ohren gekommen, dass letztgenannte Kräuter gegen die Pestilenz eingesetzt worden wären. Das Schwitzen allein kann die Wirkung des Ingwers oder Pfeffers – wenn sie denn tatsächlich vorhanden ist – also nicht begründen. Besitzen beide Kräuter womöglich unbekannte Kräfte? Kräfte, die den Pesthauch aus dem Leib herausschwemmen?
Montella teilte meine Ansicht nicht. Wieder einmal verwies er auf die Meinung eines Nachbarn. Es war diesmal ein Brunnenmacher, der ebenfalls die Geißel besiegt hatte. Der Mann habe Stein und Bein geschworen, es komme lediglich darauf an, die Medikamente zum rechten Zeitpunkt einzunehmen. Am besten nach jedem Läuten der nächstgelegenen Kirche, wobei die Wirkung sich verstärke, wenn das Gotteshaus nach einem Heiligen benannt sei. Da das aber bei den meisten Kirchen der Fall sei, sei es kein Problem.
Diese These vermochte ich nicht zu glauben, und das sagte ich auch. Montella gab mir sofort Recht, lachte und fügte an, der Brunnenmacher sei so hässlich wie der Teufel, und die Pest habe ihn womöglich deshalb gemieden. Allerdings, hielt ich entgegen, würde das im Umkehrschluss bedeuten, dass die Geißel vorzugsweise auf schöne Menschen ginge, was sicher nicht der Fall sei.
Die Sprache kam dann auf geweihtes Wasser, Kreuze, Amulette und heilige Reliquien, die nach landläufiger Meinung allesamt einen Schutzwall vor der Pestilenz aufbauen, aber so recht überzeugend klang das auch nicht. Ein jeder Kranke sucht wohl Trost und Hoffnung durch solche Mittel, und nur bei einigen wenigen helfen sie.
Wir alle schwiegen daraufhin, und ich dachte abermals an die schweißtreibenden Kräuter. Ihnen will ich weitere Überlegungen widmen. Aber auch den Mineralien. Vielleicht kann totes Gestein Leben retten? Mir fiel der Schwefelgestank ein, der dem Pesthauch so häufig nachgesagt wird, und ich fragte mich, ob ein scharfes Sulfurbad vielleicht helfen könnte – getreu den alten Meisterärzten, die da sagten: Similiar similibus curantur .
27. Tag des Monats August, A. D. 1579
Glaubt man den Worten des Steuermanns, werden wir morgen in Chioggia festmachen, vorausgesetzt, der Wind bleibt uns gewogen. Das Adriatische Meer zeigt sich von seiner freundlichsten Seite, so dass es gestern Abend wieder einmal möglich war, an Oberdeck zu essen. Der Koch hatte die Arme eines Oktopus jeweils fünfzig Male auf die Decksplanken geschlagen, wodurch sie außerordentlich zart und genießbar wurden. Dazu gab es geröstete Hirse, Wein und einen kräftigen Feigenschnaps. Letzterer war ein Produkt der Barbareskenstaaten, deren Einwohner nach Allahs Willen keinen Alkohol trinken dürfen, was sie aber nicht davon abhält, Aqua vitae ex fico in großen Mengen herzustellen.
Sei es, dass uns der Alkohol die Zunge löste, sei es, dass uns das Thema Pest nicht losließ, in jedem Fall diskutierten wir kurz darauf wieder einmal über die Heilungsmöglichkeiten der Geißel, wobei Enano sich diesmal besonders hervortat. Er sagte mit den ihm eigenen, schwer verständlichen, rotwelschen Brocken, er habe Menschen im Askunesischen gekannt – damit meinte er Deutschland –, die auf das Haarstrangziehen schwörten. Er nannte es übrigens »Flachsstrangzupferei«. Es handelt sich dabei um eine Methode, von der auch ich schon oftmals gehört habe: Man nimmt dabei ein Büschel langer blonder Haare, manche behaupten, es müsse das Haar einer Jungfrau sein, dreht es zu einem Strang und führt es durch das Öhr einer Nadel. Die Nadel stößt man unter der Bubone hindurch und zieht den Strang aus Haaren hinterher. Diesen Vorgang wiederholt man in den verschiedenen Himmelsrichtungen bei jeder einzelnen Geschwulst.
Eine Variante dazu spricht von der Notwendigkeit, zwei parallele Hauteinschnitte vorzunehmen – wo, darüber gehen die Meinungen auseinander –, um anschließend die Nadel samt Strang unter der Haut zwischen den Einschnitten hindurchzuziehen. Letztere Vorgehensweise gilt aber eher als Prophylaktikum.
Montella zeigte sich von beiden Methoden nicht sonderlich beeindruckt, sagte vielmehr, der Feigenschnaps hätte ihn auf eine andere Therapie gebracht. Es sei dies die Benutzung von reinem Alkohol, möglichst dreifach destilliert, mit dem die Bubonen zu behandeln seien. Allerdings müsse der Alkohol vorher mit poliertem Silber in Berührung gekommen sein, beispielsweise in einem Kelch. Von dieser Möglichkeit halte er eine ganze Menge, schließlich sei Silber das
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