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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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einiger Entfernung der Lagerschuppen mit dem daneben liegenden Haus zu erkennen. Sie schlenderten hinüber und überprüften das Schloss zum Schuppen. Es wirkte solide und unzerstörbar. Der Magister blinzelte. »Wisst ihr, was? Ich glaube, auf dieser Insel wird überhaupt nicht gestohlen. Montella will uns nur einen Gefallen tun und uns zu einer billigen Unterkunft verhelfen. Taktvoll, taktvoll, das muss ich schon sagen.«
    »Du sprichst aus, was ich soeben auch gedacht habe«, sagte Vitus. »Montella weiß am besten, wie wenig Bares mir übrig blieb, nachdem ich ihm den Schuldschein ausgestellt und unsere Passagen bezahlt hatte. Er ist wahrhaftig zu einem Freund geworden. Wenn es ihm gelingt, die Pantoffeln mit Gewinn zu verkaufen, ist es gut für ihn und auch für Sîdi Moktar, so viel steht fest.«
    Der Magister schnaufte. »Ich sehe schon bald ganz Ober-italien in gelbem Schuhwerk herumlaufen! Aber, um die Wahrheit nicht zu verhehlen, es geht sich wirklich sehr bequem darin. Das Einzige, was mich an den Tretern stört, ist ihr Geruch nach Ziege und Stall.«
    Vitus lachte. »Dann lass sie einfach vor der Tür stehen! Kommt ins Haus, Freunde, ich bin müde, es war ein langer Tag.«
    Das stimmte in der Tat. Wieder einmal hatten sie zahlreiche neue Eindrücke gesammelt und viele Menschen kennen gelernt. Nachdem sie die zwei karg möblierten Räume der Behausung in Augenschein genommen hatten, machten sie deshalb nicht viel Federlesens, bauten sich jeder eine Bettstatt aus Stroh und waren wenig später eingeschlafen.
     
    Obwohl die Gefährten sich am anderen Tag sehr zeitig zum Morgenmahl bei Carla einfanden, waren Giovanni und seine Söhne bereits fort. Hoch beladen mit Gemüsekisten, hatten sie ihren Kahn schon vor Sonnenaufgang nach Venedig gesteuert.
La Serenissima
war es gewöhnt, wie eine Königin umsorgt zu werden.
    Aber auch Vitus und seine Freunde konnten sich nicht beklagen. Das mütterliche Herz Carlas hatte wiederum für einen reich gedeckten Tisch gesorgt, und erneut aßen sie mehr, als eigentlich gut für sie gewesen wäre. Nach einem kleinen Verdauungsspaziergang griff Vitus zu Tinte und Feder und ergänzte seine Aufzeichnungen:
    Sant’Erasmo, 29. Tag des Monats August, A. D. 1579
    Gestern am Freitag sind wir auf Sant’Erasmo angekommen. Es ist eine Insel in der Lagune Venedigs, die für den Besucher einige Überraschungen bereithält. So ist sie in der Größe zwar der Markusstadt vergleichbar, doch hat sie höchstens hundert Einwohner. Die Menschen hier verdienen sich ihr Brot durch den Anbau von Gemüse. Giovanni, Fährmann und Bauer in einem, bringt es regelmäßig hinüber auf den Rialtomarkt. Bei ihm und seiner Frau haben wir für die Mahlzeiten gastliche Aufnahme gefunden. Gestern Abend vertrat er die Auffassung, dass überall da, wo Ratten seien, auch die Pest sei. Und Sant’Erasmo sei vor drei Jahren nur deshalb von der Geißel verschont geblieben, weil es auf dem Eiland keine Ratten gebe.
    Eine interessante These, wie ich meine, zumal ich in dem medizinischen Werk
De morbis
ähnliche Beobachtungen der alten Meisterärzte nachlesen konnte.
    Nur leider nützt die Erkenntnis so lange nichts, wie unklar bleibt, welche Bewandtnis es mit den Ratten auf sich hat. Was ist an ihnen, dass sie die Gottesgeißel über die Menschheit bringen? Das näher zu untersuchen bin ich gewillt, sobald wir wieder auf dem Festland sind. Ich werde mir eine Ratte besorgen und sie sezieren …
    Am Nachmittag kamen Giovanni und seine Söhne über die Lagune zurück. In ihrer Begleitung befanden sich zwei weitere Lastkähne, besetzt von Männern, die wie sie vom Gemüseverkauf lebten. Die Fahrt in den dickbauchigen Caorlinen war wie immer anstrengend gewesen. Bevor sie die Kähne das Ufer hinaufschoben, banden sie sich Tücher vor Mund und Nase und hoben große Kessel an Land.
    »Nanu, was transportiert ihr denn da?«, fragte Vitus, der mit den Gefährten gekommen war, um die Männer zu begrüßen. Im selben Moment verzog er das Gesicht. Der Gestank, der den Kesseln entströmte, hatte ihm die Antwort bereits gegeben: Es waren Fäkalien.
    Giovanni lachte unter seinem Tuch. »Wir haben hier sozusagen die Kehrseite der
Serenissima
, Cirurgicus, und die ist weniger heiter. Aber sehr nützlich. Wir düngen damit unsere Felder. Dreimal in der Woche fahren wir den Canal Grande und die kleineren Kanäle ab, wechseln die Gefäße auf den Abtritten aus und kehren schwer beladen zurück. Die Gülle lässt unser Gemüse

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