Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
ist mir und meinen Getreuen ein wichtiger Gesprächspartner auf der Suche nach der Ursache des schwarzen Todes.
    Wir befinden uns heute den dritten Tag auf See, Kurs Ost, ein steter Wind greift in die Segel unseres dickbauchigen Frachtschiffs, in dem tief unter Deck viele Hundert der gelben Pantoffeln des Hadschi Moktar Bônali darauf warten, in Chioggia und Venedig mit gutem Gewinn veräußert zu werden.
    Der Wind, so der Magister, erinnere ihn als Jünger Homers an die Fahrten des Odysseus, der genau wie wir vor Äonen von Jahren unseren Kurs gesteuert sei. Wir saßen, während er das sagte, gemeinsam bei einem abendlichen Essen in der Kabine des Eigners, und Montella fügte hinzu, seiner Meinung nach sei der Wind auf dem Meer Segen und Fluch zugleich – Segen, weil er den Schiffshandel ermögliche, Fluch, weil er dafür sorge, dass krank machende Ausdünstungen, die den Algen und anderen Wassergräsern entstiegen, an Land geweht würden.
    Es fällt mir schwer, das zu glauben, denn nach meiner Erfahrung ist nirgendwo auf der Welt die Luft reiner und unverfälschter als auf dem Meer. Noch nie habe ich erlebt, dass übel riechende Schwaden oder Ausdünstungen aus ihm hervorgetreten sind; auch ist mir nicht bekannt, dass dies jemals ein Seemann erlebt hat.
    Das alles sagte ich Montella, der aber seelenruhig weiter seine Mahlzeit einnahm und mir entgegenhielt, es gebe auch unterseeische Vulkanausbrüche, bei denen glühende Lava, Gestein und beißender Pestgestank in die See katapultiert würden, an die Oberfläche schössen und sich mit dem Wind verbänden.
    Ich behielt daraufhin meine Zweifel für mich, denn ich konnte meinen Standpunkt genauso wenig wie er beweisen. Ich habe mir vorgenommen, darauf zu achten, dass unsere Gespräche niemals im Bösen enden, denn es geht nicht darum, wer Recht hat, sondern darum, was wahr ist, und ich stehe mit meinen Aufzeichnungen erst ganz am Anfang. Am Ende jedoch, so Gott der Allmächtige will, werde ich meine Schlüsse ziehen können.
    Es gab an diesem Abend übrigens gebratenen Kapaun mit Kräutern und Oliven.
    21. Tag des Monats August, A. D. 1579
    Der Schiffskoch ist wirklich ein Meister seines Fachs. Was er zubereitet, ist durchweg schmackhaft und von großer Bekömmlichkeit. Heute Abend gab es köstliche Doraden, vom Steuermann frisch mit der Langleine gefangen und anschließend über dem Rost zubereitet, dazu würzige Okraschoten, die noch aus Oran stammten, und einen guten Roten aus Venetien. Doch konnten wir unsere Speise nicht wie ursprünglich beabsichtigt unter freiem Himmel einnehmen, da uns ein kräftiger Schauer überraschte.
»It’s raining cats and dogs
, wie man in England zu sagen pflegt«, bemerkte der Magister grinsend, woraufhin Montella sich fast an einer Gräte verschluckte, so komisch fand er den Vergleich. »Katzen und Hunde, die herabregnen!«, keuchte er. »
Gatti e cani!
Oder, wie es im Spanischen heißt:
Gatos y perros!
Hoho, die Engländer sind schon ein seltsames, verschrobenes Volk!« Dann wandte er sich hastig an mich:
»Scusi, amico mio, scusi!
Es war nicht so gemeint. Aber bei der Gelegenheit fällt mir ein, wie sehr sich Italienisch und Spanisch ähneln, kein Wunder, ist doch das Spanische ein Ableger unserer schönen Sprache! Wir sollten fortan nur noch Italienisch miteinander reden, einverstanden? Und auch wenn Ihr am Anfang vielleicht nicht gleich alles versteht, so ist es doch eine gute Übung für später.«
    Wir waren sofort einverstanden, und sogar Enano der Zwerg sagte ausnahmsweise einmal nicht »Wui, wui«, sondern »Sì, sì«.
    Die anschließende Unterhaltung war etwas holprig, geriet aber zunehmend lebhafter, als Montella, angeregt durch die herabregnenden Katzen und Hunde, wieder auf die Pest zu sprechen kam. Er sagte, ihm sei zu Ohren gekommen, dass es im Reiche der Moguln schon mehrfach Drachengewürm geregnet habe, darunter Frösche, Echsen, Schlangen und Skorpione. Anderentags habe jedes Mal Hagelschlag die Gegend heimgesucht. Am dritten Tag schließlich sei Feuer vom Himmel gefallen, durch das die Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt wären. Der ganze Landstrich sei anschließend mit Leichengestank und Pesthauch überzogen worden.
    Der Magister zog die Stirn in Falten und blinzelte auf seine typische Art, denn noch immer fehlt es ihm an neuen Beryllen. »Ich bin nicht besonders bibelfest«, entgegnete er, »aber meines Wissens sind es nur wenige Stellen, an denen es in der Heiligen Schrift Ungewöhnliches über

Weitere Kostenlose Bücher