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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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draußen mehr erzählen.« Vitus ergriff den Jüngling bei der Hand und zog ihn hinaus. Vor der Tür nahmen die Freunde das Tischchen und die Schemel und stellten sie in einer nicht einsehbaren Ecke auf.
    »Nur für den Fall, dass Arnulf noch einmal vorbeischaut«, sagte der Magister, eine weitere Bank herbeiziehend. »Er muss dich ja nicht unbedingt entdecken.«
    Massimo setzte sich zögernd. »Ich darf meinen Schwur nicht brechen«, erklärte er ernsthaft. »Schlimm genug, dass ich vorhin schwach geworden bin und fortwollte.«
    Vitus schob dem Jüngling Käse und Oliven hin. »Iss erst einmal. Nun gut, du hast Arnulf geschworen, in Armut und Keuschheit zu leben, du hast ihm geschworen, dich eurer Gemeinschaft unterzuordnen, und du hast ihm geschworen, dich zu geißeln, damit die Welt von Pest und Sünde errettet werde. Aber du hast keineswegs gelobt, dich selbst zu Tode zu prügeln. Hättest du das vorher gewusst, du hättest niemals die Hand erhoben, stimmt’s?«
    »Ja, das stimmt«, räumte Massimo kauend ein.
    »Wissen deine Eltern eigentlich, dass du dich den Geißlern angeschlossen hast?«
    »Meine Mutter weiß es. Meinen Vater kenne ich nicht. Mutter sagte immer, ich wäre ein Bankert, gezeugt von einem Mailänder Kaufmann, der ihr mit süßen Worten und vielen Schmeicheleien den Kopf verdreht habe, am anderen Morgen aber auf und davon gewesen sei.«
    Vitus nahm noch etwas Brot und trank einen Schluck Wasser. »Lebt deine Mutter denn nicht mehr?«
    »Sie starb vor drei Monaten. Wie man mir sagte, am Fieber. Als Meister Arnulf das hörte, musste ich mich extra geißeln, um dafür zu sorgen, dass ihre Seele auch ganz gewiss in den Himmel eingeht. Mutter war eine Wäscherin, eine Frau ohne Mann, aber mit vielen Kindern. Außer mir hat sie noch drei Knaben und sieben Mädchen geboren. Sechs meiner Geschwister sind in jungen Jahren gestorben, die anderen in alle Himmelsrichtungen verstreut.«
    Massimo blickte fragend auf das letzte Stück Käse, und als Vitus zustimmend nickte, nahm er es, biss hinein und sprach mit vollem Mund weiter: »Als vor einem halben Jahr Meister Arnulf in der Nähe vorbeizog, war für mich sofort klar, dass ich ihm folgen wollte. Wie mir erging es auch vielen anderen. Wir alle wollten sein gottgefälliges Werk unterstützen und etwas für unsere ewige Seligkeit tun. Doch so einfach war die Aufnahme nicht. Er bestand bei jedem Einzelnen von uns darauf, die Genehmigung unserer Eltern oder Verwandten einzuholen, und er sorgte dafür, dass wir unseren Feinden öffentlich vergaben und zur Beichte gingen, bevor wir uns ihm anschlossen. Ja, das alles verlangte er. Er ist ein guter Mann.«
    Der Magister winkte ab. »Lass ihn einen guten Mann sein, mein Sohn, aber bringe dich nicht selber um. Das hast du Arnulf auch nicht geschworen. Unter diesen Umständen gilt dein Gelöbnis nicht.
›Juramentum ad incognita non extenditur‹
, wie wir Juristen sagen. Für Normalsterbliche bedeutet dies: Der Eid erstreckt sich nicht auf nicht Bedachtes. Du kannst dich also frei und ungebunden fühlen.«
    »Meint Ihr wirklich?«
    »So wahr ich mich Magister nennen darf. Hast du noch weitere Verwandte?«
    »Neben meinen Geschwistern, von denen ich nicht weiß, wo sie leben, nur noch den Bruder meines Muttervaters. Er lebt in Padua und soll ein Radbauer sein.«
    »Aha. Nun, dann mache ich dir einen Vorschlag: Marschiere mit uns und gehe zu deinem Großonkel, denn Padua ist auch unser Ziel. Wir wären dann zu viert, und irgendwelches Räuberpack würde sich einmal mehr überlegen, ob es lohnt, uns zu überfallen.« Der Magister blickte die beiden Freunde an. »Ihr seid doch einverstanden?«
    »Natürlich sind wir das.«
    »Wui, wui, sì, sì.«
     
    Nach einer Nacht, in der sie alle Hände voll zu tun gehabt hatten, sich gegen Läuse, Wanzen und Schwärme von Fliegen zu erwehren, standen sie mit dem ersten Morgengrauen auf und wuschen sich gründlich an einem nahe gelegenen Bach. Das kalte Wasser tat ihrer Haut, die trotz aller Bemühungen zerstochen war, überaus gut. Vitus überprüfte den Sitz von Massimos Verbänden, und nachdem er für alle das Übernachtungsentgelt entrichtet hatte, machten sie sich auf den Weg.
    Der Himmel war bedeckt, die Sonne zeigte sich hier und da und vermochte nur selten den Hochnebel zu durchbrechen. Über das Land zog ein Hauch von Herbst, der aber hochwillkommen war, sorgte er doch für angenehme Kühle. Während die Gefährten kräftig ausschritten – Vitus wie in seinen ersten

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