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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Männer schüttelten sich vor Ekel. »Möge Allah geben, dass ihm die Hand abfällt!«
    »Das Schlimmste aber, meine Freunde, ist das, was er mit dem Augenlicht seiner Patienten machte. Ihr kennt sicher das Leiden, das sich ›graue Augen‹ nennt; manche bezeichnen es auch als ›grauer Star‹?«
    Die Zuhörer nickten eifrig. Ihr Interesse schien jetzt wieder auf dem Höchststand angelangt. Im heißen Nordafrika waren Augenkrankheiten weit verbreitet, dafür sorgten das ewig gleißende Licht und die Schwärme von Fliegen, die sich unablässig im Gesicht niederließen.
    »Die grauen Augen wollte er mit einer Rezeptur behandeln, die ihr nicht glauben werdet: Er nahm dazu die Eier der Roten Ameise und gab sie in ein Gläschen, welches er verklebte. Anschließend schlug er es in schwarzen Teig ein, formte ein Brot daraus und tat es in den Backofen. Nach dem Erkalten öffnete er das Gläschen und verkündete stolz, aus den Ameiseneiern sei nun Ameisenwasser geworden – die ideale Arznei gegen trübe Augen!«
    »Haha! Wer sich ein solches Wirkloswasser aufschwatzen lässt, ist selber schuld!«, ereiferte sich der vorlaute Jüngling. »Kennt die Medizin der Ungläubigen nicht den Starstich? Es würde mich nicht wundern, wenn es so wäre.«
    Der Magister musste an sich halten, um nicht aus der Haut zu fahren. Schon wieder hatte der Bursche seine Geschichte unterbrochen! Er bezwang seinen Ärger und redete scheinbar ungerührt weiter: »Natürlich kennt man auch außerhalb Afrikas und Arabiens den Starstich, aber es gibt nur wenige Ärzte, die ihn meisterhaft beherrschen. Bombastus Sanussus, der Kurpfuscher, gehörte nicht dazu. Aber er musste ihn ausführen, denn die Söhne des Patienten, eines schüchternen alten Mannes, bestanden auf der Operation. Der Scharlatan machte sich also mit großen Gesten und noch mehr Worten an den Eingriff. Er hieß den Alten, sich in die Sonne zu setzen, nahm ihm gegenüber Platz und ergriff mit der Rechten die Starstichnadel. Da bemerkte er, dass er sie mit der Linken führen musste, denn das rechte Auge des Alten war erkrankt. Seine linke Hand jedoch war offensichtlich ungeschickter, dennoch gelang es ihm, den Stich von der Schädelseite aus ins Weiße zu führen und die Linse nach unten zu drücken, bis sie verschwunden war. Sowie er dies getan hatte, sprang er auf und ließ sich von den herbeigeströmten Zuschauern feiern. Doch es kam, wie es kommen musste: Nur wenige Tage später erschien der Alte wieder; die Linse war nach oben gerutscht, die Sehkraft erneut eingetrübt. Eine ganz und gar misslungene Operation! Diesmal nahm mein Freund und Leidensgefährte, der junge Lord, den Eingriff vor. Und er wiederholte nicht den Fehler, den Bombastus Sanussus gemacht hatte. Er drückte die Linse mit der Lanzette genügend weit nach unten, bis die Aufhängebänder nachgaben, dann wartete er eine geraume Weile, bis feststand, dass die Linse nicht wieder emporwandern würde.«
    Ein anderer Zuhörer meldete sich. »Der junge Lord nahm also den Starstich vor. Woher hatte er denn die Kenntnisse? Junge Lords pflegen in der Regel nicht zu arbeiten.« Kaum hatte er das gesagt, lachte er über seine eigenen Worte. Weitere Männer fielen in sein Gelächter ein.
    Der Magister hob die Hände. »Ruhe, meine Freunde, Ruhe! Wie die meisten von euch wissen, stehe ich hier jeden Tag, und jeden Tag erzähle ich einen Teil der Abenteuer, die der junge Lord und ich in den letzten drei Jahren erlebt haben.«
    »Wui, wui, un mit mir!«, krähte der Zwerg.
    »Und mit Enano«, bestätigte der Magister. »Vor ein paar Tagen berichtete ich, dass der junge Lord im Kloster Campodios in den
Artes Liberales
ausgebildet wurde, und ich erwähnte auch, dass er jahrelang Lektionen in der Cirurgia und der Kräuterkunde bekam. Der Arzt des Klosters, Pater Thomas, gab ihm sein ganzes Wissen mit, und dieses Wissen, meine Freunde, kann sich mit jenem der größten Ärzte messen.«
    »Wo ist eigentlich der junge Lord, von dem du dauernd sprichst?«, fragte ein sehr schlanker, dunkelhäutiger Mann mit heller Stimme. Es war das erste Mal, dass er sprach, und sein Gesicht war kaum zu sehen, denn er blickte auf seine Hand, in der er die neunundneunzig Perlen seiner Gebetsschnur emsig hin und her wandern ließ.
    »Mein Freund und Leidensgefährte befindet sich« – der Magister zögerte, er konnte dem Fragesteller schlecht sagen, dass ein begnadeter Arzt wie der junge Lord zur Zeit selbst das Krankenbett hütete –, »er ist an einem

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