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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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weil ich die List des Magisters durchschaut hatte. Der seltsame Zwerg nämlich verspürte überhaupt keine Schmerzen, denn ihm fehlt es an Fleisch auf dem Buckel, und wo kein Fleisch ist, sondern nur Haut und Knochen, kann kein Schmerzgefühl entstehen.«
    Die Gebieterin stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf. Von den Ausführungen ihrer Dienerin hatte sie nur mitbekommen, dass der Name des jungen Lords noch immer ein Geheimnis war. Alles andere interessierte sie ohnehin nicht. »Du weißt den Namen des Mannes also nicht, obwohl ich dir befohlen hatte, ihn um jeden Preis herauszufinden!«
    Rabia verbeugte sich schnell. Sie wusste, wenn ihre Herrin »um jeden Preis« sagte, meinte sie damit nicht nur Geld oder Gold, sondern auch Gewalt. Âmina Efsâneh war eine Frau, die stets das bekam, was sie wollte. Und sie wollte den jungen Lord. Seit sie ihn vor sechs Wochen zufällig in der Medina gesehen hatte, war sie scharf auf ihn wie eine rollige Katze. Umso mehr, als alle ihre Bemühungen, ihn aufzuspüren, im Sande verlaufen waren. Sie hatte ihre Beziehungen spielen lassen, sich auf Festlichkeiten umgehört, ihre Freundinnen befragt und immer wieder in der Umgebung der Souks nach einem stattlichen blonden Burschen forschen lassen – allein, es war alles umsonst gewesen. Bis sie die kluge Rabia mit den Erkundigungen beauftragt hatte.
    Die Dienerin hatte gleich zu Beginn ihrer Nachforschungen herausgefunden, dass der blonde Unbekannte mit dem Magister und dem Zwerg befreundet war. Das war am gestrigen Tage gewesen, als sie zufällig den Souk am Fuße der Zitadelle besuchte. Der Geschichtenerzähler unter dem Segeltuch war ihr aufgefallen. Er hatte von einem Freund und Leidensgefährten, der ein junger Lord sei, gesprochen und haarklein die Verhältnisse in einem Kerker der spanischen Inquisition geschildert. Dabei hatte er irgendwann auch von dem »blonden« jungen Lord gesprochen. Seitdem war Rabia klar, dass sie die Spur zu dem Gesuchten gefunden hatte. Denn die blonden Männer in Tanger konnte man an einer Hand abzählen.
    Ein zischendes Geräusch riss die Dienerin aus ihren Gedanken. Die Gerte hatte sie um Haaresbreite verfehlt. Eilig rief sie: »Noch weiß ich den Namen nicht, Gebieterin, aber ich habe etwas anderes herausgefunden. Ich bin dem Erzähler und dem Zwerg heimlich gefolgt und weiß jetzt, wo sie wohnen. Den jungen Lord habe ich auch gesehen. Er sieht wirklich gut aus, sehr gut sogar …«
    »Halt den Mund! Was geht’s dich an, wie der Lord aussieht! Wo wohnt er?«
    »Am Ende der Straße der Silberschmiede, in einem alten zweistöckigen Haus.«
    »Aha. Und hast du ihm wenigstens meine Botschaft überbracht, wenn du schon nicht weißt, wie sein Name ist?«
    »Verzeih, Gebieterin, aber wie hätte ich das tun sollen? Ich war doch wie ein Mann gekleidet, und bedenke auch, wie viele Schwierigkeiten du bekommen hättest, wenn ich als Frau entlarvt worden wäre! Eine Frau in Männerkleidern, ohne Schleier im Gesicht!«
    »Ja, ja, ja.« Die Gebieterin wusste ebenso wie Rabia, dass hauptsächlich diese es gewesen wäre, die Schwierigkeiten bekommen hätte. Eine Frau ohne Schleier in der Öffentlichkeit, das konnte ein Gerichtsverfahren nach den Regeln der Scharia nach sich ziehen, und diese Regeln waren streng. Es hatte schon Fälle gegeben, in denen Frauen, die wiederholt ihr Gesicht unverhüllt zeigten, als Huren gesteinigt worden waren.
    »Ja, ja, ja«, wiederholte die Gebieterin, »folge mir!« Sie stand auf und schritt an dem großen Pfostenbett vorbei zu einem mit reicher Intarsienarbeit geschmückten Schreibtisch. Sie setzte sich, griff zu einer vergoldeten Rohrfeder und tauchte sie in ein ebenfalls vergoldetes Tintenfass. Beim Herausnehmen der Feder spritzte etwas von der Schreibflüssigkeit auf den Boden. Es gab einen hässlichen Klecks auf einem der vielen Perserteppiche, mit denen der gesamte Raum ausgelegt war. Âmina Efsâneh stieß eine Verwünschung aus. Dann begann sie zu schreiben. Der Fleck störte sie nicht weiter. Ob ein Teppich für immer verdorben war oder nicht, spielte für sie keine Rolle. Sie war verheiratet mit dem reichsten Kaufherren Tangers, mit Chakir Efsâneh, der aus dem Wallfahrtsort Raj im Herzen Irans stammte und sein Glück dem Handel mit Seidenstoffen und Porzellan aus Cathai sowie dem einträglichen Geschäft des Sklavenverkaufs verdankte.
    Seine Karawanen durchzogen das Morgenland und das Abendland, machten sich auf zu den Küsten der Barbareskenstaaten, strebten von Ost

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