Die Mission des Wanderchirurgen
berühmter römischer Arzt griechischer Herkunft, Herr Professor.«
»Und ein geschickter Cirurgicus und exzellenter Anatom dazu – neben vielen anderen Fähigkeiten, natürlich. Claudius Galenus erwähnt ebendiesen Fortsatz in seinen Schriften. Viele meiner geschätzten Kollegen nahmen deshalb an, er habe einen Fehler gemacht, als er das menschliche Skelett beschrieb, und erst Vesalius war es, der nachwies, dass der alte Meisterarzt mitnichten das humane Knochengerüst meinte, sondern dasjenige eines Affen. Ja, die ›Erkenntnis aus dem Körper‹, wie die Anatomie auch genannt wird, ist reich an Missverständnissen und Irrtümern.«
»Jawohl, Herr Professor.«
»Nächstes Mal, meine lieben Studiosi, erwarte ich, dass ihr selber das Skalpell führt. Denn was ein rechter Doktor und Medicus sein will, der versteht es auch, mit Häklein, Säge, Schermesser und Skalpell umzugehen. Oder, um es mit den Worten des großen Paracelsus zu sagen:
›Wo er nit ein chirurgus darzu ist, so steht er do wie ein ölgöz, der nichts ist als ein gemalter aff.‹«
Die Studenten lachten einmal mehr, und Häklein gestattete sich ebenfalls ein Schmunzeln. »Der Affe jedenfalls bringt uns wieder zu unserem Skelett, zu unserer Leiche und zu Vesalius, der nicht müde wurde zu sagen: ›Die Autopsie ist die Wahrnehmung mit eigenen Sinnen. Tastet und fühlet mit eigenen Sinnen!‹ Und nichts anderes erwarte ich von euch.«
Der schmächtige Professor übergab seine Instrumente einem Studenten, damit dieser sie reinige, und Vitus folgte seinem Beispiel. Der Magister räumte das Skelett wieder an seinen alten Platz, und Carlo fiel erneut die Aufgabe zu, den Leichnam nach unten in die kühlen Kellerräume zu tragen.
Danach rief Häklein: »Für heute ist Schluss, meine lieben Studiosi, geht nach Hause und schaut in die Bücher!«
Eine Woche später, als Carlo und seine Kommilitonen es wieder einmal verstanden hatten, auf dem Richtplatz eine männliche Leiche aufzutreiben, machte der Professor seine Ankündigung wahr und rief: »Dieses Mal, meine lieben Studiosi, sollt ihr selber das Skalpell führen. Denn wie pflege ich immer zu sagen? Was ein rechter Doktor und Medicus sein will, der versteht es auch, mit Häklein, Säge, Schermesser und Skalpell umzugehen.«
Die Studenten lachten nicht. Jeder von ihnen hatte schon mehrmals mit dem Besteck eines Cirurgicus gearbeitet, aber keiner von ihnen fühlte sich so sattelfest, dass er nicht Sorge gehabt hätte, sich zu blamieren.
Häklein trat an den Toten heran, der auch heute auf den Bauch gebettet dalag. »Der Beckenbereich«, sagte er und zog das verhüllende Tuch von der nackten Leiche, »der Beckenbereich ist …« Plötzlich verstummte er. »Nanu, was haben wir denn da? Das sieht mir ganz nach einer Zyste aus. Was meint Ihr, Cirurgicus?«
Vitus beugte sich vor und betrachtete die Geschwulst, die sich dicht unterhalb des Steißbeins zwischen den Gesäßbacken gebildet hatte. Sie war groß wie eine Kirsche und auch fast so rot. In ihrer Mitte fand sich eine kleine Öffnung, aus der ein paar Härchen herauslugten. »Ja, es ist eine Zyste«, bestätigte er. »Eine von jener Art, die sehr, sehr unangenehm ist. Sie sitzt fast immer an derselben Stelle und verursacht große Pein. Der Mann muss neben der bedrückenden Aussicht auf seinen Tod auch erhebliche Schmerzen verspürt haben.«
»Ganz meine Meinung, Cirurgicus! Was haltet Ihr davon, wenn Ihr vor der eigentlichen Sektion die Geschwulst operieren würdet? Sozusagen als kleine Demonstration vor unseren jungen Herren?«
Vitus zögerte kurz, doch als ihn der Magister aufmunternd in die Seite knuffte, willigte er ein. »Warum nicht? Die Möglichkeit zu einem solchen Eingriff kommt nicht alle Tage.« Ohne es zu merken, schlüpfte er in die Rolle des Professors und fragte die Studenten: »Wie, Herrschaften, würdet ihr die Operation angehen? Würdet ihr zunächst die Zyste ausdrücken? Oder würdet ihr es lassen?«
»Ausdrücken!«
»Lassen!«
»Am besten beides!«
»Ja, erst das eine, dann das andere.«
Vitus gebot Ruhe. »Da die Geschwulst ohnehin aufgeschnitten und ihr Inhalt ausgeräumt werden muss, macht es wenig Sinn, sie zuvor auszudrücken. Eine Zyste ist kein Pickel. Nein, wir beginnen direkt mit dem Skalpell. Wie setze ich es an? Wo setze ich es an? Wie viele Schnitte führe ich durch? Und vor allem: Wie sehen sie aus?«
Wieder waren die jungen Herren unterschiedlicher Meinung, was Häklein zu der Frage veranlasste, ob
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