Die Mission des Wanderchirurgen
den sinnvollen Therapie-Maßnahmen, die nach unserer einhelligen Meinung durchgeführt werden sollten, gehören leichte, kräftigende Kost für den Patienten, tüchtiges Schwitzen, da die Pestis stets mit den Anzeichen der Influenza beginnt, Aderlass bei Übergewichtigen, Behandeln der Bubonen und harmonische Musik. Das ist schon alles. Mehr hat die Wissenschaft zur Zeit nicht gegen die Pestilenzia zu bieten. Alles andere sind Schutzmaßnahmen, wie Ausräuchern des Krankenzimmers, Tragen von Pestmasken, Quarantäne et cetera.
Was nun die Ursachenforschung angeht, so kommt ihr auch nach Meinung von Girolamo eine wichtige Bedeutung zu, denn oftmals war es in der Wissenschaft schon so, dass im Erkennen der Ursache der Schlüssel für die Heilung lag. An dieser Stelle brachte ich noch einmal meine These von den Ratten ins Gespräch, doch drehten wir uns mit unseren Gedanken wieder einmal im Kreis, bis schließlich der Magister in seiner optimistischen Art sagte: »Kommt Zeit, kommt Rat.« Und es wäre nicht der Magister gewesen, wenn er nicht auf Latein hinzugefügt hätte:
»Tempus ipsum affert consilium.«
»Es hilft nichts, Cirurgicus, all unsere Bemühungen sind umsonst«, sagte Professor Girolamo und blies den Staub von einem jahrhundertealten Dokument. »Wir werden im Archiv nichts finden, das uns auf die Sprünge hilft. Die Ursache der Pestis wird im Dunkeln bleiben – jedenfalls so lange, bis nach uns Generationen kommen, denen andere und bessere Mittel zur Verfügung stehen.«
»Ich fürchte, Ihr habt Recht.« Vitus und der Magister standen ein paar Schritte weiter und suchten ebenfalls Regal auf Regal durch. Sie bemühten sich nach dem Ordnungsprinzip der gesammelten Werke vorzugehen, doch über die Jahrhunderte hinweg war immer wieder dagegen verstoßen worden, und das machte die Sache nicht einfacher. Sie hatten schon unzählige Arbeiten, Betrachtungen und Abhandlungen durchstöbert, und zwar nicht nur von italienischen Autoren, auch von deutschen, französischen und englischen, sie hatten die Schriften von Gentile da Foglio ebenso studiert wie jene von Johannes Jakobi, von Guy de Chauliac wie von Marchionne di Coppo, von Johannes von Parma wie von Gideon Whytney, darüber hinaus auch die von Pietro d’Albano, Taddeo Alderotti, Thomas del Garbo, Giulio Cesare Aranzio und vielen anderen.
Häklein legte den Kopf schief, hielt sein Dokument hoch und sagte: »Auch ein so großer Dichter wie Petrarca hat sich oft und kritisch über die Pest und die Ärzte, die sie bekämpften, geäußert. Hier schreibt er etwas über ein Gespräch, das er anno 1351 beim hiesigen Bischof Ildebrandino führte. Er plauderte dabei angeregt mit zwei Kartäusermönchen, die, wie sie sagten, seinen Bruder Gherardo gut kannten. Er schreibt weiter, dies sei allerdings nicht verwunderlich gewesen, da Gherardo demselben Orden angehörte. Die beiden frommen Männer erzählten ihm zu seinem nicht geringen Schrecken, dass sein Bruder als einziger Mönch die Pestis in der Kartause zu Montrieux überlebt hatte. An die dreißig seiner Glaubensbrüder waren jämmerlich dahingerafft worden. Er hatte jedem vorher die Sterbesakramente gegeben und ihn anschließend eigenhändig begraben, und er war der Einzige gewesen, der sich nicht gescheut hatte, all dies zu tun. Dennoch wurde er aus unerklärlichen Gründen nicht angesteckt.« Häklein schüttelte den Kopf. »Seltsam, dass der Text so plötzlich endet. Man sollte doch annehmen, Petrarca habe noch mehr geschrieben, etwa über seine Vermutungen, warum Gherardo nicht mit der Seuche geschlagen wurde. Hatte er vielleicht ein geheimes Mittel? Erkenntnisse, die uns verborgen sind? Nun, meine Gedanken sind müßig. Das Einzige, was Petrarca noch schreibt, steht hier.«
Girolamo zeigte Vitus das Dokument, und dieser las: »Möge die Flamme der Forschung Licht in das Dunkel um die Pestis bringen.«
»Darf ich mal?« Vitus nahm Häklein das Pergament aus der Hand. Eingehend studierte er die Schrift, dann den Rand des Dokuments und die leere Rückseite, so lange, bis der Magister ungeduldig wurde und rief: »Allmächtiger, du starrst darauf, als könntest du dadurch weitere Buchstaben herbeizaubern!«
Vitus runzelte nur die Stirn. Er dachte angestrengt nach. Plötzlich ging er zu einer der Kerzen im Raum und hielt das Pergament darüber.
Häklein schrie auf: »Seid Ihr von Sinnen? Ihr könnt doch dieses unwiederbringliche Dokument nicht verbrennen!«
Auch der Magister brüllte irgendetwas, doch in
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