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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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dropp. ’n Masselbringer? ’n Fixfaxmittel?«
    Vitus löste die letzten Fäden und entdeckte einen Brief. Er war von Montella. Der Vasen- und Weinhändler wünschte den Freunden darin von Herzen alles Gute, um dann – an Vitus gewandt – etwas kryptisch fortzufahren:
    … lange habe ich überlegt, amico mio, was ich Euch auf Euren Weg mitgeben soll, und bin endlich auf eine Gabe gekommen, von der ich denke, dass es mit ihr immer weitergeht. Und sollte es nicht mehr weitergehen, könnt Ihr sie veräußern, damit es wieder weitergeht.
    Gottes Segen mit Euch!
    Es folgte die schwungvolle Unterschrift des Kaufmanns. »Ich ahne etwas«, sagte Vitus.
    »Ich auch«, brummte der Magister.
    »
Sì, sì,
wui, wui!«
    Gemeinsam schlugen sie das Tuch zurück.
    Zwölf Paar gelbe Pantoffeln kamen zum Vorschein.
     
    Vierzehn Tage waren ins Land gegangen. Die Sitzungen mit Professor Girolamo hatten sich inzwischen zu einem guten Brauch entwickelt. Das Studierzimmer, ursprünglich ein Raum beschaulicher Ruhe, war zu einem Ort lebhafter Diskussionen und rauchender Köpfe geworden. Viele Behauptungen, die sich in Zusammenhang mit der Pestis als unsinnig, widersprüchlich, falsch, überholt oder abergläubisch erwiesen hatten, waren von den dreien bereits ausgeschlossen worden. Doch noch immer gab es eine Fülle von Erkenntnissen, die eingehend erörtert werden mussten.
    Das Studierzimmer war nicht der einzige Platz, an dem Vitus und der Magister mit Häklein zusammenkamen. Ihre Treffen fanden zunehmend auch im Hörsaal statt, wo sie ihm als Prosektoren zur Hand gingen. Eine Tätigkeit, die beiden Seiten zugute kam: dem Professor, weil er bei seinen Sektionen schon lange nach kundiger Unterstützung Ausschau gehalten hatte, den Freunden, weil sie sich auf diese Weise ein kleines Salär verdienen konnten.
    An diesem Vormittag standen sie zu dritt vor der Leiche eines gewichtigen Mannes, der am Tage zuvor auf dem Richtplatz gehängt worden war. Der Tote lag bäuchlings auf einem Tisch, der gerade die richtige Höhe hatte, um bequem daran arbeiten zu können. Während Häklein noch emsig die bereitliegenden Instrumente und Werkzeuge einer Prüfung unterzog, bat er seine Studenten, näher zu treten. Es handelte sich um einen ausgesuchten Kreis junger Herren, samt und sonders höhere Semester, die in der Zergliederungskunst schon einige Kenntnisse vorweisen konnten.
    »Wir Anatomen wollen den menschlichen Korpus in seiner Gesamtheit erkennen!«, rief Häklein. »Beispielsweise die Lage, die Beschaffenheit und das Funktionieren der Organe, ihre Verflechtung miteinander und ihr Zusammenwirken mit den Adersträngen, der Muskulatur und den Nerven. Warum ist das so, meine lieben Studiosi?« Er drehte sich ihnen zu und wartete auf Antwort.
    Als diese nicht wie aus der Pistole geschossen kam, gab er sie selbst: »Damit dem Medicus Dinge wie Diagnose, Therapie und Indikation leichter fallen – von den Geheimnissen der Vier-Säfte-Lehre oder der Harnschau gar nicht zu reden. Nun, Herrschaften, war das so schwierig?«
    »Nein, Herr Professor.«
    »Gut. Und um den menschlichen Korpus in seiner Gesamtheit zu erkennen, muss man ihn öffnen. Wozu man wiederum nicht nur ein reichhaltiges Instrumentarium braucht, sondern auch …?«
    »Gelbe Pantoffeln!«
    Dem Zwischenruf folgte allseits ein unterdrücktes Gelächter, doch Häklein verzog keine Miene. In der Tat trug er an diesem Tage ein Paar jener gelben Schuhe, die Vitus viele Meilen durch Oberitalien geschleppt hatte. Es war ein Geschenk der Freunde gewesen, und er hatte es dankbar angenommen, denn die Beschäftigung mit Kleidung jeder Art gehörte nicht gerade zu seinen Interessengebieten – entsprechend dürftig war seine Erscheinung.
    »Sondern auch mechanisch einwandfreie Gerätschaften«, ergänzte er seelenruhig. »Die Funktionalität eines Instruments ist das Wichtigste, Herrschaften. Ihr hat sich alles andere unterzuordnen. Das gilt im Übrigen auch für das Schuhwerk. Solange es gut passt und keine Blasen verursacht, kann es getrost gelb sein.«
    Diesmal hatte er die Lacher auf seiner Seite.
    Wiederum verzog er keine Miene, sondern hob nur leicht die Hand. Augenblicklich kehrte Ruhe ein. Ein leichtes Schmunzeln huschte über sein Gesicht, denn er wusste: Es war seine gelassene und humorvolle Art, die ihn zu einem der beliebtesten Professoren Paduas machte. Er griff zu einem Schermesser, gab es dem Magister und bat ihn, die ausgeprägte Rückenbehaarung des Toten abzurasieren. Dann

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