Die Mission des Wanderchirurgen
die sechsundzwanzig Knöpfe seiner Weste zu schließen. Es dauerte eine Weile, bis er fertig war, nicht zuletzt, weil er sich noch nicht vollends bei Kräften fühlte. Dann sagte er: »Ich glaube, vor morgen fange ich nicht damit an. Schon aus Rücksichtnahme auf dich.«
»Wieso auf mich?«
»Weil du mir selbstverständlich dabei helfen wirst.«
»Oh, mein armer Kopf!«
»Das sagst du jetzt zum dritten Mal. Du wirst mir doch helfen?«
»Natürlich, du Unkraut.«
Vitus saß im Studierzimmer, das er mit Einverständnis des Kollegiums zu seinem Arbeitsraum erkoren hatte, und tauchte die Feder sorgfältig ins Tintenfass. Er schrieb die letzten Sätze seiner Abhandlung über die Ursachen der Pest, ein Werk, das er schlicht
De Causis Pestis
genannt hatte:
Wenn auch die Wissenschaft heute noch rätselt, welches Therapeuticum das rechte gegen die Pestilenzia ist – wie bereits ausgeführt, wird es eher ein Bündel an Maßnahmen sein als eine einzige Arznei –, so kann doch mit Fug und Recht behauptet werden, dass der Pestfloh, den ich hiermit Pulex pestis taufe, als der Urheber allen Übels angesehen werden muss.
Seine Entlarvung verdanken wir dem bereits oben erwähnten Francesco Petrarca, dessen geheime Botschaft den entscheidenden Hinweis gab.
Den Biss von Pulex pestis vermeiden und gleichzeitig Sorge tragen, dass dieses tückische Insekt allerorten vernichtet wird, wird künftig die beste Gewähr dafür sein, die Schlange Pest endgültig zu besiegen.
Dieses schrieb zu Padua am 27. Tag des Monats Oktober, A. D. 1579
Vitus von Campodios
»Ihr wollt uns wirklich verlassen, Signori? Der Winter steht vor der Tür, bald haben wir November, höchste Zeit, die Füße hinter den Ofen zu stecken! Und da wollt Ihr die lange Rückreise nach England antreten?«
Häklein stand im Hof der Universität und war der Fleisch gewordene Vorwurf. »Warum bleibt Ihr nicht einfach hier? Wenn es draußen friert und die Mäuse sich unter den Bänken beißen, sucht man die Wärme, liest ein gutes Buch und probiert den jungen Wein.«
Der Magister stöhnte auf. »Es ist zwar schon zwei Wochen her, Professor, dass wir gemeinsam unsere Erkenntnisse über den Pestfloh begossen haben, aber sprecht bitte das Wort ›Wein‹ nicht in meiner Gegenwart aus.«
Girolamo musste trotz des traurigen Anlasses lachen. »Ja, das war eine Nacht, die auch ich so schnell nicht vergessen werde, ebenso wie den Morgen danach. Nur der Allmächtige kann ermessen, wie speiübel mir war. Dennoch: Wir hatten wahrhaftig Grund zum Feiern. Und hätten es heute eigentlich nochmals, jetzt, wo das Werk
De Causis Pestis
so trefflich gelungen ist. Nicht wahr, Cirurgicus?«
Vitus wehrte ab, doch Häklein legte ihm die Hand auf den Arm. »Wenn man alles schwarz auf weiß und in so wohlgesetzten Worten nachliest, jeden Punkt, jede Beobachtung, jede Schlussfolgerung, dann merkt man erst, wie zwingend das Gebäude der Logik ist, auf dem unsere Erkenntnisse beruhen! Ja, die Pestilenzia hat von nun an ihren Schrecken verloren. Ich werde dafür sorgen, dass
De Causis Pestis
schon in den nächsten Tagen in Druck geht. Jedermann muss wissen, das die Gefahr einzig und allein von einem lächerlichen Floh ausgeht! Die Schlange Pest wird verenden, und ich werde, mit Eurer Erlaubnis, so schnell wie möglich eine Zusammenkunft der klügsten Köpfe dieses Landes anberaumen. Einziges Thema:
Pulex pestis
.«
»Tut das, Professor. Aber dann werden wir nicht mehr hier sein«, entgegnete Vitus. »Meine Freunde und ich haben beschlossen, über die Lombardei nach Ligurien zu ziehen. Wir wollen marschieren und immer dann, wenn die Gelegenheit sich ergibt, auf einer Kutsche oder einem Karren mitfahren. In Genua werden wir versuchen, ein Schiff zu erwischen, dass uns um die Iberische Halbinsel herum nach Hause trägt. Meine Mission ist erfüllt. Mich zieht es mächtig heim nach England. Die Winter dort sind länger als hier, und meine Leute auf Greenvale Castle brauchen mich.«
»So ist es«, bekräftigte der Magister. »Ich gestehe, auch mich juckt es in meinen Reiseschuhen, und das, obwohl sie gelb und eigentlich für wärmere Gefilde gedacht sind.«
»Nun denn.« Girolamo reckte sich zu voller Höhe auf. »Wenn Ihr Herren denn doch gegen alle Vernunft reisen wollt, bleibt mir nichts anderes übrig, als Euch von Herzen alles Gute zu wünschen.« Für einen Augenblick vergaß er seine professorale Würde, umarmte Vitus und küsste ihn auf beide Wangen. »
Amico mio!
Ich werde Euch
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