Die Mission des Wanderchirurgen
fügte Vitus
Erbrochenes
und
Fäkalien
hinzu. Noch später
feuchte Hautschuppen.
Letzteres allerdings mehr der guten Ordnung halber.
Als dies geschehen war, beschlossen die Forscher, in bewährter Manier all jene Punkte auszuschließen, die augenscheinlich keinen Sinn machten. Dazu gehörte
Ohrenschmalz
, denn niemand vermochte sich vorzustellen, wie das Schmalz aus dem Ohr des einen Menschen in den Körper des anderen gelangen sollte. Gleiches galt für
gelbe Galle
und
schwarze Galle
und
Eiter.
Und auch für
Erbrochenes
,
Urin, Fäkalien
und
feuchte Schuppen.
Doch was blieb, war immer noch viel.
Durch Verletzungen konnte das Blut des einen Menschen mit dem eines anderen in Berührung kommen. Speichel konnte beim Kuss in den Mund hinüberfließen, Schweiß konnte ausbrechen und in die Poren des anderen sickern, Scheidensekret konnte – ebenso wie Sperma – bei der Fleischeslust in die Blutbahn gelangen, Nasensekret, Tränen und Hustenschleim konnten bei Umarmungen in winzigste Hautläsionen eindringen. Vitus schrieb also als mögliche kontagiöse Flüssigkeiten nieder:
Liquores corporis (reliquiae):
Blut
Speichel
Schweiß
Scheidensekret
Sperma
Nasensekret
Tränen
Hustenschleim
Nach kurzer Diskussion beschlossen die drei, Muttermilch und Fruchtwasser als ungefährlich einzustufen, wobei Vitus von den Keimlingen des Dottore Sangio erzählte, die keinerlei Seuchensymptome aufwiesen – dank des sie umgebenden
Liquor amnii
, im Gegenteil! Vitus berichtete, dass der Pestarzt sogar seine Maskenkräuter damit tränkte.
»Hört, hört«, meinte Häklein. »Wenn unsere Thesen stimmen, dann hat mein guter Freund Sangio an etwas geglaubt, das wirkungslos ist. Gottlob ist er dafür nicht bestraft worden. Oder haltet Ihr es für möglich, meine Herren, dass im Fruchtwasser etwas verborgen ist, das Gift, Säure oder Miasmen unschädlich macht?«
Vitus antwortete und wägte seine Worte dabei sorgfältig ab: »Ich glaube nicht, Professor. Zwar sagte der Dottore zu mir, jeder Arzt habe seine eigene Kräutermischung, aber zweifellos übermittelte er seine Beobachtungen an den Keimlingen seinen Kollegen. Und ebenso zweifellos dürften einige von ihnen die Rezeptur gleichfalls benutzt haben – und trotzdem den Pesttod gestorben sein. Anders ausgedrückt: Wenn es Sangio wirklich geglückt wäre, ein Schutzmittel zu finden, hätte die Nachricht sich wie ein Lauffeuer in ganz Venedig verbreitet.«
Häklein seufzte. »Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn es uns – gewissermaßen nebenbei – gelungen wäre, ein Mittel gegen die Pest zu finden.«
Der Magister grübelte laut weiter: »Dennoch bleibt festzustellen, dass der Dottore überlebt hat. Wahrscheinlich, weil seine Schutzkleidung ihn von jeglicher Übertragung durch Körperflüssigkeit von Pestkranken bewahrte.«
»Woraus sich die Frage ableitet, warum so viele Ärzte von der Seuche dahingerafft wurden, schließlich trugen doch alle Schutzkleidung«, spann Häklein den Faden weiter.
Vitus legte die Feder beiseite und klappte das Tintenfass zu. »Ganz einfach, weil sie sich der tödlichen Gefahr nicht bewusst waren. Niemand verfügte über das Geheimwissen, das ihn vor den tödlichen Flohbissen hätte warnen können. Alle dachten, sie müssten sich ausschließlich vor der Ansteckung durch den Menschen schützen – was im Prinzip ja auch richtig ist –, aber keiner achtete auf die Flöhe. Was nützt der schönste Schutzanzug, wenn ein Pestfloh darin sitzt und seinen Träger beißt!«
Häklein legte den Kopf schief. »Wollt Ihr damit sagen, es sei der pure Zufall, dass mein Freund Sangio mehrere Seuchen überlebte?«
»Gewissermaßen, ja. Allerdings habe ich den Dottore als einen Mann kennen gelernt, der sehr auf sein Äußeres bedacht ist. Ich will damit sagen, er ist wahrscheinlich sehr reinlich und wäscht sich oftmals. Jedermann weiß, dass Flöhe am meisten dort anzutreffen sind, wo es schmutzig ist. Vielleicht haben sie ihn deshalb gemieden.« Vitus hielt inne, griff zur Feder und begann mit ihr zu spielen. »Gherardo hingegen, der den Verursacher genau kannte, brauchte keine Schutzkleidung. Er vermied beides: den Kontakt mit Körperflüssigkeiten Kranker und den Kontakt mit Flöhen. So blieb er wie durch ein Wunder gesund.«
Den Magister hielt es plötzlich nicht mehr auf seinem Stuhl. Temperamentvoll, wie er war, sprang er auf und schrie:
»Heureka, heureka!
Ich hab’s, ich hab’s! Wenn du es schon nicht sagst, du Unkraut, sage ich es für
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