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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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mehr die Wärme hat. Folglich sucht er sich ein anderes Opfer: Er springt auf die nächste Ratte oder, wenn gerade keine da ist, auf einen Menschen. Hier wiederholt sich dasselbe: Biss – Pest – Tod.«
    Häklein legte den Kopf schief und wiederholte sinnend: »Biss – Pest – Tod … das habt Ihr ebenso schmerzlich wie trefflich kurz gefasst, Herr Magister. Wisst Ihr, was mich bei alledem wundert? Dass der Floh selbst anscheinend gegen die Seuche gefeit ist. Noch nie sah jemand tote Flöhe in einem Pestgebiet. Doch wenn ich es recht bedenke, ist das so ungewöhnlich nicht. Es gibt ja auch Vögel, die Beeren aufpicken, an denen andere eingehen würden, und Fische, denen die Feuernesseln einer Qualle nichts anhaben können.«
    »So ist es.« Vitus schaute nochmals auf Petrarcas geheime Botschaft. »Hier steht außerdem, dass der Mensch den Menschen tötet, womit sicherlich die Ansteckung gemeint ist. Keine sonderlich überraschende Mitteilung. Dennoch bekommt die Information eine neue Bedeutung im Hinblick auf unser frisch erworbenes Wissen über den Floh. Halten wir uns noch einmal vor Augen, dass der Biss des tückischen Insekts den Tod von Tier und Mensch in Pestzeiten nach sich zieht. Nun weiß jedermann, dass ein solcher Biss unangenehm ist. Die Stelle schwillt an und beginnt heftig zu jucken. Doch daran stirbt normalerweise niemand. Es muss also irgendetwas sein, das mit dem Biss in den Körper des Opfers gelangt. Aber was? Ein Gift? Eine Säure? Ein Miasma? Wir wissen es nicht. Doch so viel ist sicher: Es muss etwas geben. Und dieses Etwas gelangt bei der Ansteckung von dem einen Menschen in den anderen.«
    »Nur eben ohne Biss«, ergänzte Häklein.
    »Vielleicht durch den Atem?«, vermutete der Magister. »Dann würde der viel zitierte Pesthauch eine neue Bedeutung erhalten.«
    »Nein.« Häklein schüttelte den Kopf. »Nicht durch den Atem. Dann wäre Gherardo mit Sicherheit gestorben. Wir müssen davon ausgehen, dass er bei seinen vielen Hilfsaktionen den Todkranken auch körperlich sehr nahe war. Vielleicht geschieht die Kontagion ja über Körperflüssigkeiten. Was meint Ihr, Cirurgicus?«
    »Das ist nicht auszuschließen. Man müsste dazu untersuchen, welche in Frage kämen. Doch sollten wir das, wenn es Euch recht ist, Professor, zu einem späteren Zeitpunkt tun.«
    »Das ist mir sehr recht.«
    »Mir auch«, sagte der Magister.
    »Dann bleibt mir heute nur noch, meiner Bewunderung für Francesco Petrarca Ausdruck zu verleihen. Sein Wissen muss er in langen Gesprächen mit den Kartäusermönchen erworben haben, die es ihrerseits von Gherardo hatten. Es war hochbrisantes Geheimwissen, das er in einer überaus klugen Weise weitergegeben hat: mit einer Nachricht, die lediglich achtunddreißig Wörter umfasst und dennoch Umwälzendes übermittelt. Wann sehen wir uns wieder, lieber Professor?«
    Häklein blickte gütig, aber auch erwartungsfroh. »Gleich morgen nach der Vorlesung! Dann aber im Studierzimmer.«
    »So soll es sein«, sagten Vitus und der Magister wie aus einem Munde.
     
    Am folgenden Tag konnten der Professor und die beiden Freunde es kaum erwarten, sich zu treffen. Endlich, am späten Nachmittag, war es so weit. Sie saßen einander wieder gegenüber, und Häklein begann das Gespräch, indem er sagte: »Nun, meine Herren, habt Ihr nochmals über unsere gemeinsamen Erkenntnisse nachgedacht? Ich für mein Teil habe mich heute ständig dabei erwischt, dass ich sie im Geiste überprüfte. Aber ich muss sagen: Alles, was wir aus Petrarcas Worten hergeleitet haben, erscheint mir logisch und richtig.«
    »So erging es auch uns«, antwortete Vitus.
    »Nur die Frage des Wie bei der Ansteckung von Mensch zu Mensch ist noch ungelöst«, sagte der Magister.
    »Womit wir beim Thema wären«, nickte Häklein. »Wir sagten, wenn ich mich nicht irre, dass die Kontagion über Körperflüssigkeiten erfolgen könnte. Dazu sollten wir uns erst einmal klar darüber werden, was es alles an
Liquores corporis
gibt.«
    Im Folgenden zählten die drei Männer auf, was ihnen einfiel, und das war nicht wenig. Selbst der Professor war überrascht von der großen Anzahl der Säfte. Vitus machte sich erneut die Mühe, alles schriftlich festzuhalten:
    Liquores corporis (universitas):
    Blut
    Speichel
    Schweiß
    Nasensekret
    Tränen
    Ohrenschmalz
    Urin
    Sperma
    Scheidensekret
    Fruchtwasser
    Gelbe Galle
    Schwarze Galle
    Hustenschleim
    Muttermilch
    Eiter
    Das waren insgesamt fünfzehn Flüssigkeiten. Nach einigem Zögern

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