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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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die Kleine bei den Beinen, hielt sie kopfüber und gab ihr einen Klaps auf den Po. Sofort begann sie zu plärren. »Sie scheint gesund zu sein!«
    Der Magister brummte erleichtert: »Besonders die Lungen.«
    Enano nahm Vitus das Kind aus der Hand. »Stech mir mal den Streichling, oho, oooh, is sie zuckrig, meine kleine Nella!«
    »Nella?«, fragte Vitus.
    »Das is ihr Name, sie is ja’n Stück von Antonella, nich?«
    Der Magister brummte: »Das ist nicht abzustreiten, aber was hättest du gemacht, wenn es ein Junge geworden wäre?«
    »Dann würd’s ’n Tonio sein!« Der Zwerg wiegte das Neugeborene in den Armen und schaute verzückt auf das winzige Gesicht und die puppenhaften Hände. Alles an dem Kind war noch kleiner als bei ihm, eine ungewohnte, eine angenehme Erfahrung.
    Vitus hatte inzwischen die Nachgeburt auf Vollständigkeit untersucht und beiseite getan. Jetzt nahm er dem Zwerg das Kind wieder ab und rubbelte es mit einer Decke trocken.
    »Gib sie mir.« Antonella hob schwach die Hände.
    Vitus legte der Mutter die Kleine in die Armbeuge. Sie lächelte glücklich.
    »Gute Arbeit«, sagte der Magister und ließ dabei offen, ob er damit Vitus’ Hilfe oder die Leistung der Mutter meinte, aber es war auch egal, denn in diesem Augenblick begann das Kind wieder zu plärren, lang und anhaltend und jammervoll. Bestürzt sahen die drei Freunde sich an. War die Kleine am Ende doch nicht gesund? Ein verborgenes Leiden? Irgendetwas, das sie falsch gemacht hatten?
    Und während sie einander noch ratlos anschauten, verstummte plötzlich das Geschrei. Antonella hatte das getan, was jede Mutter instinktiv getan hätte: Sie hatte die Kleine an die Brust gelegt.
    Der Magister blinzelte. »Ein neuer Erdenbürger!«
    Vitus lachte befreit. »Eher eine neue Erdenbürgerin.« Er schickte sich an, der jungen Mutter den Unterleib zu säubern und ihr eine Linnenkompresse auf die gemarterte Öffnung zu legen, aber Antonella bedeutete ihm, das könne sie später selbst machen. Da ließ er es.
    Der Magister meldete sich wieder: »Wir sollten dem Allmächtigen danken, dass alles so gut verlaufen ist.«
    »Wui, wui! Wollen paternollen!«
    Vitus sagte: »Es ist ein Sonntagskind, im Sternzeichen des Skorpions geboren. Wir wollen beten und danken.«
    Und das taten sie.
    Im Feuerring,
Mittwoch, 18. Tag des Monats November, A. D. 1579
    Am vergangenen Sonntag hat die Bürstenbinderin Antonella ein Kind zur Welt gebracht. Niemandem war ihr Zustand bis dahin aufgefallen. Wahrscheinlich eine typisch männliche Oberflächlichkeit. Einzig der Zwerg hatte von der Schwangerschaft gewusst, aber geschwiegen. Er hat sich zu einem liebevollen Beschützer für die Mutter entwickelt. Vermutlich werden seine Gefühle erwidert. Das Rotwelsche, dessen er sich stets befleißigt und das dem fahrenden Volk als eine Art Schutz dient, sieht für das Wort »Liebe« den Begriff »Lenze« vor. Beide sagten schon mehrfach »Ich lenze dich« zueinander. Ich hoffe, ihre Liebe führt nicht zu Komplikationen in der Gruppe.
    Gott sei Dank stellte die Geburt meine ärztliche Kunst auf keine große Probe. Alles ging recht schnell, ganz so, wie es die Natur wohl im Normalfalle vorgesehen hat, so dass ich nicht einmal dazu kam, im Werk De morbis unter dem Stichwort »Geburtshilfe« nachzuschlagen. Ebenso wenig war die Gabe eines schmerzstillenden Präparates notwendig, welches ich extra zuvor hergestellt hatte. Ich nahm getrocknete Opiummilch, das Pulver des Stechapfels und Atropa belladonna, einen Extrakt der Tollkirsche – alles in allem eine Verbindung, die ich im Verhältnis 2 : 1 : 1 anrührte. Ich verwahre die Arznei nun in einem zylindrischen Gefäß aus Majolika und hoffe weiter, sie nicht anwenden zu müssen.
    Der Zwerg hat seit der Geburt nichts anderes im Sinn, als die kleine Nella – so nennen er und die Mutter das Kind – umherzutragen und zu umsorgen. Seine Hingabe geht so weit, dass er seine Pflichten als Hüter des Feuers und als Wachgänger vernachlässigt, was besonders bei Fabio und Guido auf Unverständnis stößt. Ich hatte einige Mühe, den aufkommenden Streit zu schlichten. Trotzdem bleibt die Einteilung der Wachzeiten ein Problem, zumal Antonella noch nicht in der Lage ist, wieder auf Posten zu gehen. Sie ist sehr schwach und hat auch Fieber, lehnt aber jegliche Hilfe ab. Wenn es schlimmer wird, werde ich sie behandeln müssen, ob sie will oder nicht.
    Vielleicht sollten wir zukünftig darauf verzichten, am Tage Streife zu laufen. Allerdings

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