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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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verdrießlich: »Als Streifenposten tauge ich nicht viel, sehe sowieso kaum etwas. Aber dass die Flammen des Feuerrings fast heruntergebrannt sind, das sehe ich wohl.«
    »Wie? Was sagst du?«, fragte Vitus. Er war mit seinen Gedanken weit weg gewesen, hatte an dieses und jenes gedacht, wie es einem beim Einerlei des Rundenlaufens häufiger passiert.
    »Die Flammen sind fast heruntergebrannt«, wiederholte der kleine Gelehrte. »Was ist bloß mit dem Zwerg los? Ich denke, er ist für das Feuer verantwortlich? Statt sich darum zu kümmern, scharwenzelt er ständig um Antonella herum.«
    »Er macht sich Sorgen um sie, und ich fürchte, nicht unbegründet. Heute Morgen wollte ich ihr einen Trank von Weidenrindenpulver machen, weil sie wieder unter starken Schmerzen litt, aber mein Vorrat war fast aufgebraucht. Seltsam, ich dachte, es wäre noch mehr in meinem Döschen gewesen. In jedem Fall teile ich die Sorge um Antonella. Wenn sie wenigstens sagen würde, wo genau ihr Leiden sitzt! Zuerst dachte ich, sie hätte starke Monatsblutungen, aber dazu hält ihr Zustand schon zu lange an. Ich hoffe nur, sie hat nicht eines dieser unbehandelbaren Frauenleiden, eine Zyste oder Ähnliches.«
    Die beiden Freunde waren unterdessen beim Männerzelt angelangt. Vitus steckte den Kopf hinein und rief mit unterdrückter Stimme: »He, Enano! Enano, hörst du mich? Aufwachen! Das Feuer geht aus.«
    Keine Antwort. Nur ein paar schmatzende Schnarchgeräusche waren zu hören. Der Magister hatte unterdessen eine Lampe entzündet und hielt sie ins Zelt. »He, Zwerg, komm schon hoch! Aufstehen! Nanu? Vitus, siehst du, was ich sehe?«
    »Ja, der Winzling glänzt durch Abwesenheit. Dreimal darfst du raten, wo er ist. Die Sorge um Antonella in allen Ehren, aber nächtliche Besuche in ihrem Zelt gehen denn doch ein bisschen zu weit.«
    »Ja, ja, das ewig Weibliche. Es zieht den Mann zur Frau. Wer würde das besser verstehen als ich. Dennoch: Der Winzling muss sich ums Feuer kümmern.« Der Magister schlug die Eingangsplane zurück und leuchtete in Antonellas Zelt. »Verzeih, wenn wir dich stören, aber … oh, mein Gott!«
    »Was ist?«, fragte Vitus, und dann sah er es selbst: Die Bürstenbinderin lag da mit weit gespreizten Beinen, ein paar Decken im Rücken und ein Scheitholz zwischen den Zähnen, auf das sie mit aller Macht biss. Der Zwerg kauerte neben ihr, hielt ihr den Kopf und kühlte ihr mit einem Tuch die Stirn. »Oh, mein Gott!«, entfuhr es auch Vitus. »Antonella bekommt ein Kind!«
    »Wui, wui, ihr Gacken. ’s war doch klar! Habt ihr’s denn nich gespäht? Ich wusst’s schon lang.« Der Winzling tauchte das Tuch in eine Wasserschüssel, wrang es aus und legte es seiner Angebetenen wieder auf die Stirn. Antonella blickte dankbar zu ihm auf, doch plötzlich stieß sie ein Wimmern aus und warf den Kopf hin und her. Eine Wehe durchlief ihren Körper. Das Scheitholz fiel ihr aus dem Mund. Der Zwerg schob es ihr wieder zwischen die Zähne. »Mach was, Vitus!«, fistelte er, »bitte, mach’s hui!«
    Vitus war noch mit sich selbst beschäftigt. »Ich grenzenloser Dummkopf! Ich blinder Hornochse! Wieso bin ich nicht auf die natürlichste Erklärung der Welt gekommen? Antonella kriegt ein Kind!«
    Jetzt wusste er auch, was die ganze Zeit mit ihr nicht gestimmt hatte. Seine Gedanken überstürzten sich. Er hatte noch niemals Geburtshilfe geleistet. Angst kroch in ihm hoch. Die Angst zu versagen. Er unterdrückte sie. Als Arzt musste er Sicherheit ausstrahlen. »Nun ja, macht euch keine Sorgen. Alles wird gut gehen. Antonella ist nicht die Erste, die auf dieser Welt ein Kind bekommt. Ich werde euch sagen, was zu tun ist: Du, Enano, gehst hinaus und kümmerst dich um den Feuerring. Die Flammen sind fast schon heruntergebrannt.«
    »Wui, wui!« Der Winzling strich seiner Sträuberin noch einmal über die Wange, bevor er davonhuschte, sichtlich erleichtert, dass Vitus das Kommando übernommen hatte.
    »Und du, Magister, weckst Fabio und Guido. Sie müssen außer der Reihe Wache gehen. Und schüre das Kochfeuer. Ich brauche einen Kessel mit heißem Wasser.«
    »Ist gut, bin schon unterwegs!« Der kleine Gelehrte eilte davon.
    »Und bring mir auch meine Kiepe!«, rief Vitus ihm hinterher. »Und mehr Licht!« Dann setzte er sich zu Antonella und nahm ihr den Scheit aus dem Mund. »Kannst du sprechen?«, fragte er.
    »J … ja, Cirurgicus.«
    »Hast du schon die Wehen?«
    »Ja …«
    »Darf ich?« Er zog ihr das Nonnengewand hoch über den sich

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