Die Mission des Wanderchirurgen
fühlte freudige Erwartung, als er die Nachricht zu lesen begann. Die vergangenen Tage hatten ihn viel Kraft gekostet, und eine Abwechslung im täglichen Einerlei war ihm hochwillkommen. Der Professor dankte ihm für seinen Brief und schrieb in knappen Worten, dass er die These von der Lymphknotenbildung als Abwehr gegen Organschäden leider nur an Hand archivarischer Aufzeichnungen habe prüfen können, da es in Padua keine Pest und damit auch keine Pesttoten gebe. Nach den Aufzeichnungen aber sei es ein interessanter Ansatz. Der Brief schloss:
… amico mio, bleibt gesund, ich bete für Euch und Eure Freunde. Lasst aus dem Feuerring bald wieder von Euch hören. Die Frau des Überlandfahrers Fabio wird mir Eure Nachricht zukommen lassen.
Euer ergebener
M. Girolamo
»Die Pest hat Padua nicht gestürmt!«, rief Vitus. »Dem Allmächtigen sei Dank. Vielleicht ist das Aufflackern der Seuche ja sehr begrenzt. Das wäre eine wunderbare Neuigkeit. Denn je begrenzter das Vorkommen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Pestilenz sich schnell totläuft.«
»Sagtest du, die Pest sei nicht in Padua, Cirurgicus? Oh, heilige Mutter Maria, ich danke dir!« Der Überlandfahrer fiel mit gefalteten Händen auf die Knie. Tränen der Dankbarkeit und Freude liefen ihm über die fleischigen Backen. »Miabella schreibt zwar, dass es ihr und den Kindern gut geht, von der Pest hingegen sagt sie nichts. Wahrscheinlich wollte sie mich nicht beunruhigen, genauso, wie ich es nicht wollte und die Seuche verschwieg. Oh, Allmächtiger, ich danke dir!«
Fabio redete noch eine Weile so weiter, aber Vitus verließ ihn, verstaute seine Arzneikiste wieder in der Kiepe und machte sich zu Antonella auf. Dass es den Angehörigen des Überlandfahrers so gut ging, hatte ihn schmerzlich an ihren Zustand erinnert. Sie hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden zu phantasieren begonnen und war kaum noch ansprechbar. Er machte sich große Sorgen um sie.
Noch mehr Angst um sie aber hatte der Zwerg, der, stets den Säugling auf dem Arm, nicht mehr von ihrer Seite wich.
»Wui, Vitus«, fistelte er mit übernächtigten Äuglein, »’s is alles zu spät, ich glaub, sie wird nich wieder.«
Vitus antwortete nicht, sondern setzte sich neben die Lagerstatt und ergriff das Handgelenk der Kranken. Der Puls raste womöglich noch schneller als bei der letzten Messung, eine Begleiterscheinung des hohen Fiebers, das ihren Körper schier verbrannte. Inzwischen hatte er die Mixtur aus dem Albarello immer weniger zur Anwendung gebracht, denn sie konnte den Schmerz zwar lindern, nicht aber die Hitze aus dem Körper bannen. Und schon gar nicht vermochte sie, die kranken Säfte wieder in Harmonie zu bringen.
Da die junge Mutter gleichzeitig weder hustete noch Schleim absonderte, drängte sich eine bestimmte Erkenntnis immer mehr auf. Es war eine niederschmetternde Diagnose, gegen die alle ärztliche Kunst nichts ausrichten konnte: Kindbettfieber.
»Ja, deine Freundin ist sehr, sehr krank«, sagte Vitus mit gepresster Stimme. »Kindbettfieber geht einher mit einem entzündeten Unterleib. Die besten Medikamente nützen nichts dagegen. Du weißt, dass ich Antonella letzte Nacht noch zur Ader der gelassen habe, um das Fieber herunterzubringen, leider nur mit vorübergehendem Erfolg. Es ist wirklich zum Verzweifeln.«
»Wui, hab schon zum grandigen Machöffel paternollt, aber ich fürcht, er will sie keckeln, meine Sträuberin.«
»Ja, es sieht so aus, als wolle der Herr sie heimholen. Jetzt hilft nur noch ein Wunder.«
»Wui«, sagte der Zwerg traurig. »Pardong …« Er begann zu weinen. Vitus konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals so verzweifelt gesehen zu haben. »P … pardong, dassich flössel, kann nich mehr wie paternollen, mehr kannich nich … pardong, dassich flössel.«
»Natürlich. Bleibe nur bei ihr. Lege ihr das Kind in den Arm und kühle ihr die Stirn.«
Vitus war selbst zum Heulen zumute, aber er verließ das Frauenzelt und schritt hinüber zu dem der Männer, wo er ein kleines Stück Papier holte. Dann begab er sich zum Kochfeuer. Fabio legte die Feder gerade aus der Hand. Er hatte seinen Gruß an Miabella und die Kinder beendet. Statt froh über sein Werk zu sein, hatte sein Gemütszustand sich schon wieder ins Gegenteil gekehrt. Tränen der Trauer standen ihm in den Augen.
Vitus dachte: Herrgott im Himmel, müssen denn alle ständig flennen? Er unterdrückte einen Fluch, der aber mehr seiner eigenen Ohnmacht als dem Verhalten
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