Die Mission des Wanderchirurgen
weinst? Dabei hast du doch allen Grund, glücklich zu sein. Hast einem gesunden Kind das Leben geschenkt, hast den Zwerg, der dich liebt.«
»Das ist es ja gerade!« Antonellas Tränenstrom nahm zu. »Er liebt mich, aber ich, i …«
»Ja?«
»Ich liebe ihn nicht!«
»Wie bitte?«
»Ich liebe ihn nicht. Dabei ist er so ritterlich, so putzig, so hilfsbereit, und er kümmert sich auch so rührend um die Kleine, aber lieben tue ich ihn nicht. Was soll ich nur machen?«
»Aber du hast doch selbst zu ihm gesagt: ›Ich lenze dich auch‹?«
»Habe ich, ja, weil ich ihm eine Freude machen wollte. Mit ihm ist es genauso wie mit Rocco, nur dass es bei Rocco umgekehrt war.« Antonella wandte den Kopf zur Seite und schluchzte leise weiter.
»Rocco? Wer ist das? Dein Vater?«
»Nein, nein, er war mein … mein Geliebter. Mein Vater ist schon über zehn Jahre tot. Alles, was ich von Vater erzählt habe, bezog sich eigentlich auf Rocco. Ich bin eine Zeit lang mit ihm übers Land gezogen. Ich liebte ihn sehr, mehr als mein Leben, aber als er erfuhr, dass ich ein Kind von ihm erwarte, hat er sich aus dem Staub gemacht.«
Vitus nahm das Albarello aus seiner Arzneikiste und begann ein wenig von der Mixtur aus Opiummilch, Stechapfel und
Atropa belladonna
in Wasser zu verrühren. »Ich verstehe. Du liebtest Rocco, aber er erwiderte deine Gefühle nicht. Und mit dem Zwerg ist es nun umgekehrt. Kennt er die Geschichte mit Rocco?«
Antonella nickte.
»Und er liebt dich trotzdem. Bemerkenswert, sehr bemerkenswert. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich keinen Rat für euch beide. Am besten, du verwendest zunächst deine ganze Kraft darauf, gesund zu werden. Alles andere findet sich dann.«
Er flößte Antonella etwas von dem Trank ein und fuhr fort: »Die Arznei wird dir angenehme Gedanken schenken und dich schlafen lassen. In ein paar Stunden sehe ich wieder nach dir.«
Vitus saß in der fahlen Mittagssonne vor dem Kochfeuer und zog die Fäden bei Fabios Stirnverletzung. Die Wunde war mittlerweile auf ganzer Länge zugewachsen. »Du hast gutes Heilfleisch, Fabio«, lobte er.
»Das sagt meine Miabella auch immer, Cirurgicus.« Dem Überlandfahrer war an diesem Tag nicht so weinerlich zumute wie sonst, vielleicht weil die Sonne schien und seine Pferde sich nahe am Feuerring aufhielten, so dass er ihnen schon am Morgen ein paar Worte hatte zurufen können. Auch die Ziege war dabei gewesen, doch ihr hatte er keine große Aufmerksamkeit geschenkt.
»So, sagt sie das?« Gerade wollte Vitus die Pinzette beiseite legen, als plötzlich Flügelflattern über ihren Köpfen zu vernehmen war. Bussola gurrte aufgeregt. Sie hatte den Weg von Padua zurück gefunden und setzte sich auf Fabios Schulter.
»
Mamma mia!
Welch eine Freude!«, rief der Überlandfahrer. »Kaum rede ich von Miabella, schon ist meine Schöne, meine Holde zurück mit einem Briefchen von ihr.«
Sanft hob er den Vogel von seiner Schulter. »Nicht wahr, mein Liebling, du hast doch ein Briefchen dabei?« Er betrachtete die roten Beine. »
Naturalmente
, ich wusste, dass du mich nicht enttäuschen würdest.«
Rasch faltete er die Nachricht auseinander. Während er mit den Lippen die einzelnen Wörter formte, weil ihm das Lesen so leichter fiel, wurde das Strahlen in seinem Gesicht größer und größer. »Ja, es geht ihr gut, und mein Söhnchen ist wohlauf! Oh,
Dio mio,
ich kann mein Glück kaum fassen! Miabella fragt, wie es heißen soll. Was meinst du, Cirurgicus, wie soll ich es nennen?«
Vitus lachte. »Das weiß ich nicht, ich kenne die Namen deiner anderen Söhne ja nicht.«
»Ach so, ja, hm, hm. Weißt du, ich glaube, ich werde meinen Kleinen ›Fabio Felicio‹ taufen lassen, den Namen gibt es eigentlich nicht, aber mein Glück ist so groß, dass Vater Frederico sicher eine Ausnahme machen wird. Gleich will ich meinem treuen Weib antworten.«
»Tu das. Doch zuvor eine Frage: Ist für mich oder meine Freunde auch eine Botschaft dabei? Ich meine, von Professor Girolamo?«
»Warte, Cirurgicus.« Fabio schüttelte das nicht ganz auseinander gefaltete Papier, und tatsächlich fiel noch ein Zettel heraus. Fabio kniff die Augen zusammen, denn die Schrift war sehr klein: »
An den Cirurgicus Vitus von Campodios
, steht da. Mehr kann ich nicht lesen, denn das andere ist wohl Latein.«
Vitus nahm das Schreiben entgegen. »Dann muss es eine Botschaft vom Professor sein.« Er studierte kurz die Zeilen. »Ja, ein Brief von Girolamo! Bin gespannt, was er schreibt.«
Er
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