Die Mission des Wanderchirurgen
gestoßen, du Unkraut. Musste das sein?«
Vitus zuckte mit den Schultern. »Vielleicht war ich zu unfreundlich, mag sein, aber auf jeden Fall hatte ich Recht. Stell dir vor, jeder würde nach Belieben den Ring verlassen und wieder zurückkommen: heute der Zwerg, weil er eine Ziege braucht, morgen du, weil du Blumen pflücken willst und übermorgen Fabio, weil er seine Gäule streicheln will. Im Übrigen scheint mir, dass wir beide hier als Einzige normal geblieben sind. Alle anderen spintisieren. Wenn ich also eben zu laut war, dann …«
»Dann liegt es nur daran, dass du genauso ein Riesenloch im Magen hast wie ich.« Der Magister grinste verständnisvoll. »Auf zu den Fleischtöpfen, mein Alter, auch wenn diese in letzter Zeit nicht mehr so gut gefüllt sind. Es ist eben niemand da, der sich regelmäßig ums Kochen kümmert.«
»Ja, Antonella fehlt uns allen sehr, nicht nur dem Zwerg.« Vitus schöpfte drei Kellen voll Suppe in die große Schüssel. Die Brühe war halbkalt und ziemlich zerkocht. »Ich fürchte, wir haben schon besser gegessen.«
»Ach was!« Der stets zuversichtliche kleine Mann tauchte seinen Löffel in das Gebräu. »Dem Hungrigen schmeckt das Brot wie Manna.«
Vitus konnte schon wieder lächeln. Während er selbst zu essen begann, sagte er: »Wir müssen davon ausgehen, dass Guido ab sofort ausfällt.«
»Was? Ist das dein Ernst? Wie sollen wir dann weiter Wache gehen? Wir sind nur noch ein armseliges Fähnlein von drei Mann, denn der Zwerg kommt ja wohl auch nicht mehr in Frage?«
»Richtig. Wir müssen uns eben ganz neu aufstellen, denn an einem lasse ich nicht rütteln: Wir werden nach wie vor Streife laufen. Du, Fabio und ich. Wir werden nach wir vor vier Stunden laufen, allerdings allein. Danach kommen wie bisher acht Stunden wachfreie Zeit. Derjenige, der auf Streife ist, wird künftig nicht nur Fabios Muskete tragen, sondern auch seine Horntute. Sie wird im Fall der Fälle ein gutes Warnsignal sein. Auch das Problem mit dem Kochen muss neu gelöst werden. Ich denke, das übernehme ich. Eine kräftige Mahlzeit am Tag muss genügen.«
Vitus unterdrückte ein Aufstoßen und fuhr fort: »Ich werde mich gleich an den Kessel stellen. Wenn Fabio um zwölf von der Wache kommt, kriegt er eine ordentliche Portion. Ich übernehme bis vier, danach kommst du bis acht, und so weiter. Das Einzige, was wirklich schade ist: Wir werden niemals alle zusammen essen können, dabei verbindet ein gemeinsames Mahl doch so stark! Weißt du noch, wie prächtig wir uns alle bei den Gauklern verstanden?«
»Weiß ich, weiß ich. Sage mal, isst du den Rest da noch? Nein? Umso besser, dann opfere ich mich.« Der Magister aß die letzten Löffel mit Genuss. »Ja, wir verstanden uns prächtig, jeder mit jedem, nur der hochnäsige Kurpfuscher Doctorus Bombastus Sanussus war die Ausnahme. Erinnerst du dich, wie er uns die ganzen Flusskrebse wegfraß, weil er unsere einzige Zange mit Beschlag belegt hatte? Dabei raspelte er unentwegt Süßholz mit Tirzah, sehr zum Unmut eines gewissen Vitus von Campodios.«
»Ach ja, Tirzah.« Vitus lächelte wehmütig. »Die junge Zigeunerfrau. Was wohl aus ihr geworden ist?«
Der Magister nickte nachdenklich. »Und aus all den anderen? Aus Arturo und Anacondus, aus Zerrutti und Maja, aus Antonio und Lupo … ja, ja, die Zeit. Ob wir die
Artistas unicos
wohl jemals wiedersehen?«
»Wer weiß, wer weiß.«
Im Feuerring,
Dienstag, 1. Tag des Monats Dezember, A. D. 1579
Unschöne und gefährliche Dinge haben sich ereignet, die aufzuschreiben ich erst heute in der Lage bin. Guido, der Geigenbauer, lehnt es seit einer Woche strikt ab, auch nur einen Schritt in Richtung Feuer zu tun, aus Angst, seine Geige könnte Schaden nehmen. Er behandelt das Instrument, als sei es eine Frau – als sei das Holz die Haut und das Schallloch … nun ja. Wenn es nicht so unheimlich wäre, könnte man über das Ganze lachen. Jedenfalls fällt er als Wachgänger aus.
Auch Enano tut für die Gemeinschaft nur noch das Nötigste, allerdings kümmert er sich rührend um die kleine Nella und versorgt dazu das Feuer. Um das Kind ernähren zu können, beging er eine ungeheure Torheit: Er holte die Ziege in den Ring und nahm damit höchste Ansteckungsgefahr in Kauf. Doch gottlob blieb die Pest draußen.
Die genannten Umstände bringen es mit sich, dass nur noch Fabio, der Magister und ich auf Wache ziehen können, jeder allein, was natürlich ein erhöhtes Risiko darstellt. Besonders beim
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