Die Mission des Wanderchirurgen
Abschiedsschmerzes wieder in Tränen ausbrach.
Wie wird das alles enden?
Am Montagmorgen um acht, der Tag dämmerte gerade, kamen Vitus und der Magister von ihrem vierstündigen Wachgang zurück. Die Zeit war ihnen lang geworden, wie immer, wenn sich überhaupt nichts ereignete. Doch war es besser so als anders herum.
»Es ist mir fast peinlich«, brummte der kleine Gelehrte, »jedem von uns ist Antonellas Tod auf den Magen geschlagen, nur mir nicht. Ich habe einen Bärenhunger. Freue mich auf Suppe und einen trockenen Faden am Leib. Der Regen hat ja gottlob aufgehört, aber der Morgennebel steht ihm in der Feuchte kaum nach.«
Die Freunde gingen zum Kochfeuer, wo unter der Plane das Stundenglas verwahrt wurde. Der Magister drehte es um und sagte: »Eine weitere Stunde unserer selbst gewählten Quarantäne ist um! Wo bleibt Guido, der Bursche? Wenn mich nicht alles täuscht, muss er sich jetzt auf die Socken machen, zusammen mit Fabio.«
Da von den beiden Genannten keiner zu sehen war, gingen die Freunde ins Männerzelt, wo der Magister heftig blinzelnd ausrief: »Was sieht mein schwaches Augenlicht? Die Herren ruhen noch? Auf, auf, ihr müden Leiber!« Er rüttelte beide kräftig an der Schulter. »Eure Wache beginnt!«
Fabio richtete sich gähnend auf und begann seine Stiefel anzuziehen. »Ist es schon wieder so weit, mein Freund? Das Leben scheint nur noch aus Streifelaufen zu bestehen.
Dio mio,
wenn meine Miabella mich so sehen würde!«
Vitus übergab ihm die Muskete. »Hier, deine Waffe. Zum Glück mussten wir sie nicht benutzen. Keine Vorkommnisse.«
Fabio stand aufrecht und zog sich die Kleider glatt. Wie alle anderen, so hatte auch er darin geschlafen. Er hängte sich die Muskete auf den Rücken, gähnte nochmals herzhaft und blickte sich nach Guido um.
Der Geigenbauer war mittlerweile ebenfalls wach, doch er machte keine Anstalten, sich zu erheben.
Vitus fragte stirnrunzelnd: »Willst du nicht aufstehen?«
Guido schüttelte heftig den Kopf und umklammerte seinen Geigenkasten, als hielte er eine Frau.
»Warum nicht? Bist du krank?«
Fabio dröhnte: »Das hätte uns gerade noch gefehlt!«
»Nein, ich bin nicht krank. Aber ich kann nicht Wache gehen. Es wäre nicht gut zu gehen. Nicht gut für sie.« Offenbar meinte er sein Instrument, denn er deutete auf den Kasten. »Nicht gut für sie.«
Dem Magister schwoll langsam der Kamm. »Was redest du da für wirres Zeug? Wenn du Angst hast, die Witterung könnte deiner Geige schaden, dann lass sie einfach hier.«
»Das geht nicht!« Guido kreischte fast.
»Aha. Das geht also nicht? Hast du etwa Sorge, jemand könnte dir das gute Stück klauen? Überlege doch mal: Was hätte er davon? Und selbst wenn er es täte, wo sollte er das Ding verstecken? Wir sind hier im Feuerring, einem Ring von nur zwanzig Schritt Durchmesser.«
Guido begann zu zittern. »Ich darf meine Geige nicht im Stich lassen«, flüsterte er. »Ich darf’s nicht. Sie hat Angst vor dem Feuer, große Angst!«
Der Magister beherrschte sich mühsam. »Eine Geige mit menschlichen Gefühlen? Das ist doch Unsinn! Humbug! Narretei! Glaubst du im Ernst, dass ein Stück Holz Angst vor dem Feuer haben kann?«
»Feuer, Feuer, überall ist Feuer.«
Vitus versuchte, die Gemüter zu beruhigen: »Aber die Flammen brennen doch nun seit Tagen, und du bist schon häufig mit der Geige auf dem Rücken Wache gelaufen, und ihr ist niemals etwas passiert.«
Guido schien ihn nicht gehört zu haben. Seine Augen weiteten sich, während er unablässig über den Kasten strich. »Die Hitze, die Hitze! Die schreckliche Hitze! Sie zerstört alles, und meine liebe Geige hat Angst. Angst um ihren Körper, ihren Hals, ihre Schnecke und um ihre kleinen Schalllöcher!«
Der Magister sagte derb: »Löcher können nicht brennen.«
Vitus zog ihn beiseite. »Lass, ich glaube, es hat keinen Zweck. Wir können auf Guido nicht zählen. Jedenfalls im Moment nicht. Vielleicht nimmt er nachher wieder Vernunft an.«
Er wandte sich an Fabio: »Du musst fürs Erste allein auf Wache ziehen, so Leid es mir tut. Mittags wirst du abgelöst. Dann sehen wir weiter.«
Der Überlandfahrer grummelte etwas Unverständliches in seinen Bart, warf Guido noch einen verächtlichen Blick zu und zog von dannen.
»Wo ist eigentlich der Zwerg?«, fragte der Magister.
»Dort, wo die Kleine ist, vermute ich. Wahrscheinlich in Antonellas Zelt.«
Sie gingen hinüber und betraten gebückt die Behausung. Tatsächlich fanden sie Enano vor.
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